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158 - Orguudoos Brut

158 - Orguudoos Brut

Titel: 158 - Orguudoos Brut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Seidel
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Höhe des Baikalsee festgelegt.
    Mit dem sicheren Instinkt eines Kamels trat das Kamshaa gegen die unteren Stützkonserven.
    Als der Blechhagel vorüber war und die Geschosse nur noch rollten, bekam Aruula das Tier zu fassen. Sie griff nach seinem pendelnden Kopf.
    »Ruhig, Rapushnik! Ganzruhig!«, sagte sie und kraulte die feuchte, braun gelockte Stirn. Große Nüstern blähten sich im Takt des Atems; das Kamshaa schnaufte und rollte die Augen.
    Doch es blieb stehen und ließ sich weiter streicheln. Es rebellierte auch nicht, als Aruula einen Arm nach dem shassun ausstreckte und sich das Halfter geben ließ.
    »Komm, Rapushnik!« Die Barbarin lächelte, während sie das Kamshaa ins Freie führte. Sie bemühte sich aufrichtig, nicht den kleinsten Triumph in dieses Lächeln zu legen, und war erstaunt, als sie Jem'shiins Gesicht sah. Er grinste wie ein Idiot.
    Guter Verlierer, dachte sie anerkennend. Sie wusste nicht, dass der vermeintliche Name des Kamels ein Schimpfwort war.
    (hirnloser Stinkzottel)
    Vereinzelte Flocken fielen vom Himmel und der Wind frischte auf, als Aruula das Kamshaa in die Koppel entließ, um vom Gatter aus Jem'shiins Reitversuchen zuzusehen. Nebenan waren die saikhanas dabei, die Nukkos wieder in den Stall zu treiben – bis auf eines, das Suresh abfing. Sie fasste es am Kinn, zog seinen wolligen Kopf hoch und schnitt ihm die Kehle durch.
    Aruula beobachtete, wie sich die rote, dampfende Lache im Schnee vergrößerte. Unaufhaltsam strömte das Leben aus dem Tier mit der anrührenden Kinderstimme. Die Barbarin drehte sich nachdenklich um.
    Die kleine Gestalt im Baum – was hatte ihre Stimme verstummen lassen? Ging hier wirklich alles mit rechten Dingen zu? Oder gab es doch ein düsteres Geheimnis? Dieses Gefühl verfolgte Aruula schon seit der Sache mit dem Knochen. Mittlerweile hatte es sich verstärkt.
    Niemand pinkelt auf ein Kindergrab, so was geschieht einfach nicht, dachte sie, während ihr Blick über den Baum und den Platz darunter wanderte. Chengai und seine Männer arbeiteten in aller Ruhe an ihrem Zweiggeflecht, und sie sahen nicht aus, als wären sie sich einer Schuld bewusst. Auch die Frauen kümmerten sich um nichts anderes als die Ziegenherde.
    Eine von ihnen trug gerade frisches Futter in den Stall. Aruula erkannte in ihr die junge saikhana, die vorhin so geweint hatte.
    Wie passt das zusammen?, grübelte die Barbarin. Warum vergießt sie einerseits bittere Tränen über dieses Kind und nimmt es andererseits einfach hin, wenn jemand sein Grab schändet?
    Aruula fand keine Erklärung, aber sie merkte, dass ihr beim Nachdenken dauernd dieser Knochen vor Augen kam. Er war groß gewesen, größer als ein Unterarm, und Narayan hatte ihn fort getragen wie ein Heiligtum.
    Jingiis! Aruula horchte auf. Vielleicht gehört der Knochen zu einem dieser Tiere, die ich nicht sehen durfte! Wer weiß, was das für Geschöpfe sind! Vielleicht habe ich Jem'shiin falsch verstanden, und sie sollen gar nicht geschlachtet werden… Die Barbarin schüttelte ungeduldig den Kopf. So kam sie nicht weiter! Sie musste etwas unternehmen, um das Rätsel zu lösen! Alles deutete darauf hin, dass sich die Antwort eher bei diesem merkwürdigen Knochen finden ließ als am Baumgrab, deshalb musste Aruula ihn sich ansehen – und plötzlich war der richtige Augenblick da! Die Saikhan waren beschäftigt, ihre Frauen waren beschäftigt, und Jem'shiin hing um Hilfe schreiend am Hals seines bockenden Kamels.
    Aruula drehte sich um und rannte los.
    Narayan hatte den Knochen in eine Hütte gebracht. Wo war sie? Rechts – nein, links. Aber in welcher Straße? Gleich hinter dem Kamelstall zerfiel Lagtai in ein Gewirr aus kleinen Gässchen, eng und von verschneiten Ruinen flankiert. Sie alle lagen in grauem Dämmerlicht, und fast überall gab es Fußspuren. Aruula hörte die erregten Stimmen der saikhanas.
    Sie riefen etwas. Ihre Männer antworteten, und die Barbarin nickte grimmig.
    »Ihr wollt mich aufhalten? Versucht es!«, stieß sie beim Laufen hervor. Ihr Blick flog über dunkle stille Trümmer. »Wo ist diese verdammte Hütte?«
    Dann sah sie die Spur. Frisch, ein einzelnes paar Stiefel.
    Aruula spurtete los. Hinter sich konnte sie die saikhanas hören.
    Sie holten auf.
    Plötzlich kam aus einer Seitengasse Chengai gerannt, lautlos und völlig überraschend. Fast hätte er Aruula gepackt; sie schaffte es nur um Haaresbreite, ihm auszuweichen. Die Spur im Schnee drehte nach links ab – und da war die Hütte! Aruula

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