1585 - Monsterfahrt
Karl Donkow schnippte den Rest seiner Filterlosen zu Boden. Kleine Glutfunken spritzten in die Höhe, bevor sie erloschen. Danach warf er einen Blick auf den kleinen Bus, in dem die fünf Männer des Trupps bereits eingestiegen waren. Ein sechster stand noch an der Tür der Behausung und schloss sie ab. Sicherheit war wichtig.
Die Dämmerung hatte es noch nicht geschafft, den Tag zu verdrängen.
Die Männer hatten ihren Feierabend vorverlegt, denn am Freitag wollten alle schnell über die Grenze nach Hause.
Die Arbeitsstelle lag in Polen. Die Männer wohnten allerdings auf der Westseite der Oder. In Schwedt und Umgebung.
Hier in Polen sollte eine Kläranlage gebaut werden, und da hatte die deutsche Firma ein gutes Angebot gemacht und den Auftrag auch erhalten. So wuchs Europa auch im Osten immer mehr zusammen.
Es war der Vorarbeiter, der als Letzter auf den Bus zuging.
Er hieß Paul, war ein gestandener Mann mit breiten Schultern und dichten dunklen Haaren.
Neben Donkow blieb er stehen.
»Alles in Ordnung bei dir?«
»Klar.«
»Und mit dem alten Bus da auch?«
»Der läuft wie immer.«
Paul grinste.
»Gut, dann lass uns zusehen, dass wir nach Hause kommen. Die fünf Tage Maloche haben mir gereicht und den Männern ebenfalls.«
»Wie lange müsst ihr denn noch herfahren?«
Der Gefragte fuhr mit seinen kräftigen Fingern durch sein Haar.
»Wenn ich das genau wüsste, ginge es mir besser. Aber ich habe keine Ahnung. Einen Monat könnte es noch werden. Dann sind drei Monate herum, und ich habe auch keine Lust, im kühleren Herbst immer noch hier herüber zu fahren. Wer kann schon sagen, wie das Wetter wird?«
»Stimmt.«
Paul klopfte dem Fahrer auf die Schulter.
»Dann bring uns mal gut zurück in die Heimat.«
»Ich werde mein Bestes tun.«
Karl grinste, stieg ein und setzte sich hinter das Lenkrad.
Er liebte seinen Job. Autofahren machte ihm Spaß, und bei der Firma arbeitete er bereits seit über fünfundzwanzig Jahren. Immer als Fahrer. Einen Unfall hatte es bei ihm noch nie gegeben. Darauf konnte er mehr als stolz sein.
Der Weg führte in Richtung Westen, und damit in die Einsamkeit hinein.
Wer hier fuhr, der brauchte nicht mit dichtem Verkehr zu rechnen. Man konnte es lässig angehen lassen, allerdings empfahl es sich, nicht zu schnell zu fahren, denn die Straßen und Wege waren nicht das, was man als ideal bezeichnen konnte.
Es würde dauern, bis sie die Bundesstraße 166 erreichten. Das heißt, ihre Verlängerung, denn die Bezeichnung führte sie nur westlich der Grenze in Deutschland.
Sie würden ein Stück durch den Nationalpark Unteres Odertal fahren und dann in Richtung Deutschland rollen.
Kein Problem für Karl Donkow. Er kannte die Strecke im Schlaf, weil er sie oft genug gefahren war. Dennoch musste er aufpassen. So menschenleer war die Umgebung oft nicht.
Hin und wieder verirrten sich lichtscheue Gestalten in die Grenznähe und gingen ihren illegalen Geschäften nach.
Hier wurde gedealt, hier wurde Menschenhandel betrieben, und es kam auch vor, dass in dieser Einsamkeit unliebsame Zeugen verschwanden. Schon oft genug in den vergangenen Jahren waren Leichen gefunden worden. Oft nur noch als Skelette.
Das wusste Klar Donkow alles.
Ihm war noch nichts passiert. Er hatte zwar so manche Szene beobachtet, hütete sich jedoch, den Mund aufzumachen. Es war für die Gesundheit besser, wenn man nichts sah und deshalb auch nichts sagen konnte.
Die sechs Männer hinter ihm waren ruhig. Nach einer anstrengenden Arbeitswoche hatten sie keine Lust mehr, sich noch großartig zu unterhalten. Sie waren froh, die Augen schließen zu können, und auch das nicht eben sanfte Schaukeln des Busses störte sie nicht.
Die Fahrt führte hinein in das grüne Dämmer, das die hohen, dicht belaubten Bäume schufen. Hin und wieder wechselte sich der Wald mit leeren Brachflächen ab, über denen bereits ein leichter Dunst lag, denn feucht war es hier meistens.
Die schmale Fahrbahn zerschnitt die Natur als graues Band. Es gab kein Dorf in der Nähe. Nicht mal ein Gehöft tauchte auf. Der nächste Ort hieß Rynica, und der lag längst hinter ihnen, denn in seiner Nähe wurde die Kläranlage gebaut.
Karl Donkow zündete sich wieder eine Filterlose an. Die Glimmstängel kaufte er auf dem Polenmarkt. Das war zwar illegal, weil sie unversteuert waren, aber das kümmerte ihn nicht. Hauptsache, sie waren billiger.
Auch schaltete er das Radio ein. Die Musik sollte das Schnarchen der Männer übertönen, die
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