1588 - Die falsche Kette
von denen der letzten Untersuchung ab.
Die Friedensstifterin betrachtete die neuen Daten lange und eingehend, Sie fand sich durch diesen Befund in einer ihrer Befürchtungen bestärkt.
Sie hatte den Zellaktivator rund einundzwanzig Monate lang getragen. Es deutete alles darauf hin, daß sie binnen kürzester Zeit um diese einundzwanzig Monate gealtert war.
Sie nahm an, daß dieser, rapide Alterungsprozeß sich innerhalb weniger Stunden nach Ablauf der kritischen Frist abgespielt hatte.
So gesehen, war es verständlich, daß sie sich alt, krank und verbraucht fühlte.
Dorina Vaccer sagte sich, daß sie nur ein bißchen Ruhe brauchte. Die Schwierigkeit bestand jedoch darin, daß es ihr nicht gelang, sich diese Ruhe zu verschaffen.
Der Moment des Einschlafens war identisch mit einem scheinbaren Sturz in die Unendlichkeit.
Dieses Gefühl einer plötzlichen Leere war so beängstigend, daß an Schlaf danach nicht mehr zu denken war.
Manchmal glaubte Dorina Vaccer, schon allein dieser Schock müsse sie früher oder später umbringen.
Infolge dieser Angst und aller sonstigen Nebenerscheinungen hatte die Friedensstifterin seit fast fünf Tagen nicht mehr geschlafen. Sie befand sich mittlerweile in einer Phase, in der sie gelegentlich für einige Sekunden das Bewußtsein verlor, weil Körper und Geist ihr den Dienst versagten.
Diese Sekunden der Bewußtlosigkeit waren stets mit einem sehr kurzen, dafür aber um so intensiveren Traum verbunden.
In diesem Traum sah die Linguidin sich selbst im Innern eines Transmitters. Sie stand zwischen zwei leuchtenden Polen, die von rechts und links an ihr zerrten und Dorina Vaccer der Länge nach in zwei Hälften teilten.
Es war ein völlig unblutiger und absolut schmerzloser Vorgang. Die Friedensstifterin hatte in diesem Traum sogar den Eindruck, als seien beide Körperhälften durchaus imstande, ihr Leben fortzusetzen und eigene Wege zu gehen.
Es war nicht schwer zu erklären, warum Dorina Vaccer von diesem Traum heimgesucht wurde: Sie war durch einen Transmitter gegangen, und das war für sie ein einschneidendes, traumatisches Erlebnis gewesen.
Durch den Einfluß der Zellaktivatoren hatten die unsterblichen Friedensstifter die typische Überempfindlichkeit der Linguiden gegenüber dem Hyperraum verloren. Sobald sie dahintergekommen waren, hatten sie beschlossen, diese Veränderung dem ganzen linguidischen Volk zu demonstrieren.
Sie hatten damit beweisen wollen, daß die alten Grenzen für sie nicht mehr gültig waren.
Und zwar nicht nur auf diesem einen Gebiet.
Dorina Vaccer erinnerte sich nur sehr ungern an dieses Erlebnis, denn als sie den Transmitter damals verlassen hatte, war sie für mehrere Minuten kaum noch imstande gewesen, sich auf den Beinen zu halten.
Nur mit Mühe war es ihr gelungen, diese überaus kritische Situation zu überspielen.
Im ersten Augenblick hatte sie geglaubt, ihr Zellaktivator hätte versagt. So und nicht anders, hatte sie gedacht, mußte es sich anfühlen, wenn ein Linguide sein Kima verlor. Jetzt erlebte sie es wieder. Wenn sie nach dem sich ständig wiederholenden Traum zu sich kam, schien es ihr, als sei sie wirklich in zwei Teile gerissen, von denen jeder die Welt mit eigenen Augen sah. Beide Hälften ihres Ichs meldeten jedoch die individuell gesehenen Bilder an ein und dasselbe Gehirn weiter. Die Folgen waren verheerend. Alle Perspektiven wirkten falsch, auf eine völlig widersinnige Weise gegeneinander verschoben.
Das betraf nicht nur die Perspektive des Raums, sondern auch die der Zeit. Und das mit allen damit verbundenen Konsequenzen.
Es dauerte jedesmal etwas länger, bis dieses Bild sich wieder normalisierte. Diese Übergangszeit war das Schlimmste an der ganzen Angelegenheit: ein übelkeiterregender Alptraum von sich drehenden, biegenden, aufwölbenden, teilweise durchsichtig scheinenden Wänden, Böden und Decken, zwischen denen Dorina Vaccer sich ihres Lebens und ihres Verstandes nicht mehr sicher glaubte.
Oft genug war sie drauf und dran, den Zellaktivator wieder anzulegen, nur um dieser Tortur zu entkommen.
Aber sie tat es nicht.
Statt dessen versuchte sie, sich auf andere Gedanken zu bringen, indem sie Amdan Cutrer zu sich rief.
Er kam, blieb an der offenen Tür stehen und fragte: „Auf welche Weise möchtest du auf Lingora empfangen werden?"
Dorina Vaccer saß auf dem Rand der Matte und sah verwundert zu ihrem Schüler auf.
Amdan Cutrer wich ihren Blicken aus. „Ich verstehe nicht, wie du das meinst", sagte die
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