159 - Schimären der Wüste
Hure abgeblieben?«
»Tot«, stammelte der Schimäre. »Tototototot…«
Aruula erkannte die Stimme augenblicklich wieder. Es war jene, deren Schrei sie in Moogans Wohnbereich vernommen hatte.
»Lass ihn in Ruhe!«, herrschte die Barbarin das Mädchen an. »Siehst du nicht, dass er völlig fertig ist?«
»Misch dich nicht ein!« Wütend wehrte Sta’sy ihre Hände ab. »Dieser Womtof ist am Tod meiner Mutter und meiner Schwestern schuld! Er hat Rium’li dazu verleitet, mit ihm zu flüchten.« Sie spuckte dem Mann ins Gesicht. »Er hat es verdient, dieser elende Verräter!«
»Er wird vorerst bei euch bleiben«, erklang N’oias mürrische Stimme. Er tauchte mit einer Fackel in der Hand am Ende des Ganges zum Krustenhaus auf. »Der Herr hat es so angeordnet. Pflegt ihn gesund, damit er seiner Bestimmung zugeführt werden kann.«
»Welche Bestimmung?« Aruula tunkte ein Stück Stoff in bereitstehendes Wasser und wusch Sy’cho die Blutspuren aus dem Gesicht.
»Er soll morgen vermählt werden«, antwortete N’oia. »So ist es vorgesehen.«
Aruula schüttelte den Kopf. Sie konnte einfach kein System in dem Wahnsinn erkennen, der sie umgab. »Und wer soll die Braut sein?«
N’oia lächelte unglücklich. »Du, Aruula.«
Sie unterdrückte mühsam das Zittern ihrer Hände, während sie den Verletzten weiter behandelte. Das menschliche Wrack, das den Namen Sy’cho trug, reagierte kaum. Er hatte sich ganz in sich selbst zurückgezogen.
»Warum sollte ich diesen armen Jungen heiraten?«, sagte Aruula, während sie langsam die langen Turban-Bahnen vom Haupt des Schimären entfernte. Sy’cho mochte nicht einmal fünfzehn Jahre alt sein. Sein Haupt war kahl geschoren, die Haut von relativ wenigen Wunden und Narben gezeichnet.
»Die Wege des Herrn sind –«
»– unergründlich, ja, ich weiß«, schnitt sie Sta’sy das Wort ab. »Aber hast du nicht einmal eine Vermutung, warum ich verheiratet werden soll?«
»Moogan liebt es, stets das Unerwartete zu tun. Ich könnte mir allerdings denken, dass er Sy’cho damit quälen will. Er muss das hässlichste Wesen, das je die Kruste betreten hat, ehelichen. Was dich betrifft, so wirst du mit der Vereinigung eine von uns werden, Qual und Schmerz mit uns teilen und dem Volk der Schimären viele Kinder gebären…«
»Ich soll… was?« Aruula fehlten die Worte. Ein Gefühl grenzenloser Hilflosigkeit überkam sie.
Die Luft im Krustenhaus schien immer stickiger zu werden.
Sie fühlte sich matt und ausgelaugt. Wie auch immer Moogan es anstellte – er saugte an ihrer Lebenskraft, ohne dass sie es beeinflussen konnte. Seine unheimlichen Kräfte sickerten in ihren Geist ein und nahmen sich, was sie wollten. Der Gedanke an Widerstand wurde zu einem dunklen Fleck in ihrem Denken, der immer weiter in den Hintergrund gedrängt wurde.
Da war nichts mehr, an dem sie sich mental festhalten oder aufrichten konnte.
Vermählung… Vereinigung mit Sy’cho … Kinder gebären
…
Wenn sie die Worte einzeln betrachtete, ergaben sie keinen Sinn. In der Summe hingegen empfand Aruula wachsende Freude, Moogans Wünsche zu erfüllen. Es war richtig und gut, ihrem neuen Herrn ein Geschenk zu bereiten. Besser noch: das größte, das sie ihm darbringen konnte. Freiwillig und in seinem Angesicht wollte sie ihren Leib hergeben, um anschließend den Rest ihrer Tage hier in der Kruste unter dem Schutz Moogans zu verbringen.
Sie betrachtete die Nadel, mit der Sta’sy ihren Fingerstumpf genäht hatte. Sie strahlte etwas Faszinierendes aus. Etwas Neues, bislang nicht Gekanntes erfasste Aruula. Wie würde es sich anfühlen, wenn sie…
Sie fuhr sich mit der Nadel sachte unter die Haut der Fingerkuppe ihres rechten Daumens. Ganz wenig nur, ganz leicht. Ein winzig kleiner Blutstropfen drang an die Oberfläche.
Sie spürte den Stich kaum. Die lediglich geringen Schmerzen erzeugten ein Gefühl von… Enttäuschung?
Wie würde es sein, wenn sie die Nadel ein Stückchen tiefer bohrte? Vielleicht bis zum Knochen hinab? Nur spaßeshalber, wie in einem verbotenen Spiel…
Es sieht dir niemand zu, Aruula. Tu es, lass es geschehen.
Keiner kann es dir verbieten. Die Stimme klang verlockend; leise und dennoch kräftig. Gönn dir etwas Schönes. Es wird dein Geheimnis bleiben. Niemand wird jemals davon erfahren.
Es wird dir gefallen, du wirst es genießen…
Sy’cho seufzte laut, richtete sich mit einem Ruck auf. Ein entsetzlicher Schrei entrang sich seiner Kehle. Erneut hatte ihn ein unbestimmter
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