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159 - Schimären der Wüste

159 - Schimären der Wüste

Titel: 159 - Schimären der Wüste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael M. Thurner
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beiden Wächter näherten sich.
    Aruula drehte sich um, erwartete ihre Gegner.
    Diese ganze Geschichte lief aus dem Ruder! Moogan reagierte weder so, wie sie es brauchte, noch waren die Verhältnisse zu ihren Gunsten. Sie hatte den Herrn der Schimären verwirren und reizen wollen; stattdessen fühlte sie sich eingelullt und ihrer Energie beraubt.
    Müde und ohne Selbstvertrauen hieb sie nach einem der beiden Männer. Mühelos packte sie der Wächter an den Armen, beinahe sanft, und drückte sie in einen der Stühle. Der andere Mann, dem Metallzacken furchterregend durch Lippen und Ohren gebohrt waren, band ihre Beine und den rechten Arm mit mehreren Lederbändern fest. Die Linke hingegen blieb frei.
    Aruula blinzelte mehrmals, versuchte das sanfte, bezaubernde Lächeln Moogans zu vertreiben.
    Es gelang ihr einfach nicht.
    »Was ich nun mache, geschieht zu deinem eigenen Besten«, sagte der Mann. »Du wirst mich bald verstehen. Und du wirst meine Beweggründe akzeptieren, sobald wir uns näher kennen gelernt haben. Vertraue mir einfach, so bitte ich dich.«
    Er nahm ihre Linke, betrachtete sie stirnrunzelnd, streichelte liebevoll darüber und hauchte einen weiteren Kuss auf die Fingerspitzen.
    »Leg deine Hand da hin«, sagte er und deutete auf einen kleinen Beistelltisch.
    Aruula gehorchte, auch wenn sich alles in ihr dagegen sträubte.
    »Entspanne dich«, befahl Moogan, zog ein Messer – und schnitt ihr den kleinen Finger oberhalb des zweiten Gliedes ab.
    ***
    Der Schock verging erst, als sie sich wieder in Rium’lis Krustenhaus befand.
    Dann kam das Entsetzen.
    Er hat mir den kleinen Finger amputiert, dachte sie und blickte auf ihre Hand. Blut tropfte träge vom darüber gestülpten Tuchfetzen herab. Und ich konnte ihm nicht einmal böse sein, während er es tat.
    Sta’sy brachte gekochtes Wasser. Geschickt tupfte sie die offene Wunde ab, hielt eine grobe Nadel in das Feuer, bis sie heiß glühend war, und nähte mit wenigen Stichen die Haut über dem Rest des Knochens zusammen.
    Aruula fühlte den Schmerz, ohne ihn richtig einordnen zu können. Es schien ihr, als hätte sie die letzte Stunde aus der Sicht einer anderen Frau erlebt. Als sei nicht sie es gewesen, die Moogan begegnet und von seiner dämonischen Freundlichkeit beeinflusst worden war.
    »Es ist nicht weiter schlimm«, murmelte Sta’sy. »Du hattest großes Glück. Moogan muss in bester Laune gewesen sein, dass er dir nur ein so kleines Erinnerungszeichen gesetzt hat.«
    »Erinnerungszeichen nennst du das?« Aruula sah auf den Fingerstumpf, bewegte ihn, meinte, nach wie vor alle Glieder zu besitzen.
    »Er ist unser Herr; je rascher du das einsiehst, desto leichter wird dein zukünftiges Leben in der Kruste sein.«
    »Mein… zukünftiges Leben?«
    »Glaubst du denn, dass dich Moogan jemals wieder gehen lässt? Er ist über jeden Neuzugang froh, der die alten Blutlinien auffrischt. Glaub mir: Es ist halb so schlimm hier unten, wenn man sich erst einmal eingewöhnt hat.«
    Aruula ging nicht weiter auf Sta’sys Gefasel ein.
    Argwöhnisch betrachtete sie die hinter Tüchern verborgene Frau. »Ich dachte, er würde dich ebenfalls bestrafen? Warum hat er dich mit mir zurückgeschickt?«
    »Die Wege des Herrn sind unergründlich.« Sta’sys Stimme zitterte. »Er zeigt, dass er jederzeit mit uns machen kann, was er will. So ließ er mich heute ungeschoren davonkommen. Mag sein, dass er mich in wenigen Stunden wieder zu sich ruft und befiehlt, mich selbst zu töten.«
    »Und du würdest es tun?«
    »Gestern, als du zu mir gesprochen hast, hegte ich ein wenig Hoffnung. Ich dachte, dass Moogan von deiner Widerstandskraft beeindruckt sein würde; dass du ihm entgegentreten könntest, ohne von seinem Zauber beeinflusst zu werden. Aber ich habe mich getäuscht. Es gibt keine Hoffnung für uns. Also muss ich aus der Zeit, die mir verbleibt, das Beste machen.«
    Sta’sy hockte sich in ihre Schlafschale, zog die Beine eng an den Körper und stimmte ein melancholisch klingendes Lied an.
    Wenig später kam ein Wesen, das kaum mehr als Mensch zu erkennen war, in das Krustenhaus herabgestolpert. Schaum stand ihm vor dem Mund; die ohnehin zernarbten Gesichtszüge waren von Blut überzogen. Die Augen, weit aufgerissen, zeugten vom Wahnsinn, der den Mann befallen hatte.
    »Sy’cho!«, hauchte Sta’sy. »Was machst du hier? Und was ist mit Rium’li geschehen?« Sie stürzte mit bislang ungekannter Verve auf den Mann zu, versetzte ihm mehrere Ohrfeigen. »Wo ist diese

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