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159 - Schimären der Wüste

159 - Schimären der Wüste

Titel: 159 - Schimären der Wüste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael M. Thurner
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beiden recht aufgeweckt. Dunkle Augen bewegten sich hinter den schmalen Sehschlitzen flink hin und her, beobachteten aufmerksam jede ihrer Bewegungen.
    »Sind… Freunde«, flüsterte N’oia heiser. »Keine Angst.«
    Aruula hatte nicht zufällig alle Unbilden dieser Welt, die sie seit Jahren durchwanderte, überlebt. Das Misstrauen einer Kriegerin konnte keinesfalls durch ein paar besänftigende Worte beruhigt werden.
    »Ich habe verstanden«, sagte sie, während sie mit halb geschlossenen Augen danach trachtete, die notwendige Konzentration für den Versuch aufzubauen, die Gedanken der beiden zu erlauschen.
    Da war eine Wolke der Verwirrung, die Aruula spürte.
    Vielleicht ein Hauch von Gehässigkeit und wüsten Gedanken, die das Denken der Wüstensöhne überlagerte.
    Standen die beiden etwa unter Beeinflussung? Wurden sie durch einen stärkeren Geist geschützt?
    Die Gelegenheit zu einem intensiveren Vordringen in die Geisteswelt von Izo’sch und N’oia war nicht besonders günstig. Soeben hob der Wind wieder an; klapperndes Kochgeschirr und das regelmäßige Aufstoßen Rapushniks störten sie gehörig.
    Einerlei. Vorerst würde sie sich fügen und den Männern vertrauen. Immerhin verdankte sie Izo’sch und N’oia ihr Leben.
    »Essen«, sagte der kleiner gewachsene Mann. Er reichte ihr eine Holzschüssel. Undefinierbare braune Fleischmasse schwamm in heißem, dampfenden Wasser und verbreitete einen widerlichen Geruch.
    »Was ist das?«, fragte Aruula misstrauisch. Nicht ohne Grund – die Essgewohnheiten der Tonggids, denen sie vor zwei Wochen begegnet war, ließen sie noch immer schaudern.
    »… ist wichtig … du essen. Geist von … besiegter Qualle … dann in dir. Macht stark, macht schön. Du viel brauchen … Schönheit.«
    Die meisten Männer, mit denen sie bislang zusammengetroffen war, waren gegenteiliger Meinung gewesen. Es mangelte ihr auch keinesfalls an Selbstbewusstsein – aber der Widerwillen, mit dem Izo’sch und N’oia sie betrachteten, gab Aruula doch zu denken.
    Was gäbe ich jetzt für einen Spiegel, dachte sie und nahm widerwillig einen Happen vom Fleisch der erlegten Qualle.
    Es schmeckte besser, als sie befürchtet hatte.
    ***
    Sie nannten sich selbst Schimären. Seit langer Zeit durchwanderte ihr Volk diesen trockenen und lebensfeindlichen Landstrich, den sie als ihre Heimat bezeichneten. Immer wieder deuteten sie nach links und rechts, wiesen auf besondere Felsformationen hin. Diese trugen prosaische Namen wie »Dunghäubchen«, »Bruststich« oder
    »Pickelarsch« und halfen den Männern zweifelsohne, die Orientierung zu behalten.
    Der mühselige Marsch führte stets über felsiges, zur Seite hin abschüssiges Gelände. Die breiten Talgründe, so erfuhr Aruula, waren zur Gänze untertunnelt und wurden von den Sandquallen beherrscht. Die Schimären ließen die Tiere während der Wintermonate in Ruhe, opferten ihnen lediglich ab und zu verstorbene Sippenmitglieder. Im Sommer hingegen, wenn die Sandquallen die Hitze der Sonne suchten, erlegten die Schimären manche von ihnen. Der Chitinpanzer wurde in Stücke zerbrochen und zu scharfgratigen Hieb- und Wurfwaffen verarbeitet. Die unter der Körperschutzschicht schwappende Flüssigkeit lieferte, in großen Bottichen abgekocht, ausreichend Trinkwasser. Das Fleisch, in Streifen geschnitten und getrocknet, stellte eine besonders eiweißreiche Nahrungsquelle dar.
    Aruula gewöhnte sich rasch an die hart klingende Sprache, in der Tat eine Abart jener, die bei den Wandernden Völkern gesprochen wurde. Wenn sie ein Wort nicht verstehen konnte, half ihr ausgeprägtes Sprachgefühl weiter.
    »Wir sind reiche Menschen«, sagte N’oia stolz. »Das Land mag karg wirken, aber es bietet uns mehr als genug zum Leben.« Er deutete in den Halbschatten einer Felsformation, die er zuvor als »Großer Wundschorf« bezeichnet hatte. »Sieh genau hin: Niemals gelangt Sonnenlicht in die hintersten Regionen der Felsen. Wombos leben dort in ewiger Dunkelheit; körperlange Würmer, die sich in Feuchtigkeit und Kälte am wohlsten fühlen. Sie ernähren sich auch vom Gesteinssand, nehmen Unmengen im Lauf ihres Lebens zu sich. Wenn zehn Sommer und Winter vergangen sind, erstarren und verknöchern sie äußerlich. Dann ernten wir ihre harten Leiber, bereiten aus den Innereien köstliche Suppen und nutzen die Schalen als Bettgestelle in unserer Kruste…«
    »Die Kruste?«, hakte Aruula neugierig nach. »Was ist das?«
    »Der Platz, an dem wir heute leben«,

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