1591 - Beschützer aus dem Jenseits
Ziel.
Passgenau wurde er in eine Astgabel geklemmt, die seinen Hals von zwei Seiten würgte. Er hing über der Straße. Er strampelte mit den Beinen, ohne die geringste Chance zu haben, sich befreien zu können.
Der Geist packte die beiden Äste und drückte sie zusammen. Wie eine Puppe hing der Mann im Baum fest, und durch den Druck wurde ihm die Luft genommen. Dabei stieß er Laute aus, die Alma noch nie in ihrem Leben gehört hatte. Sie klangen verzweifelt, und ein Strom aus Mitleid jagte durch ihren Körper.
Der zweite Typ hatte ebenfalls keine Chance. Er war gepackt und auf die Fahrbahn gezerrt worden.
Und dort starb er, denn der Geist, der am jüngsten aussah, brach ihm einfach das Genick.
Alma hörte das schlimme Geräusch, das dabei entstand, dann sackte der Mann zusammen. Regungslos blieb er auf der Straße liegen.
Und der dritte Mann, der Nussknacker?
Er war nicht mehr zu sehen. Er war geflohen, und Sekunden später hörte Alma, wie ein Motor angelassen wurde. Ein Lieferwagen stand mit der Kühlerschnauze zur Kreuzung hin ausgerichtet. Dann jaulten Reifen auf, als der Wagen plötzlich nach vorn schoss und auf die Kreuzung zuraste.
Sekunden später war er verschwunden.
Nicht so die drei Beschützer aus dem Jenseits. Sie wandten sich der jungen Frau im Rollstuhl zu.
Plötzlich vergaß Alma den Schrecken der vergangenen Minuten. Es war so wunderbar für sie, die Nähe dieser Wesen zu spüren. Sie gaben ihr ein warmes Gefühl. Jetzt konnte sie sich in Sicherheit wiegen. So geborgen hatte sie sich selten gefühlt.
»Hab keine Angst mehr.«
»Wir sind da.«
»Wir werden immer auf dich aufpassen.«
Sie hatten abwechselnd gesprochen, und sie hatten dabei sogar gelächelt.
Alma hätte gern etwas gesagt. Aber sie brachte kein Wort hervor. Sie saß in ihrem Rollstuhl und spürte um sich herum einen kühlen Hauch, der sie aber nicht frösteln ließ.
Es war der Gruß aus einer anderen Welt, der sich Sekunden später verflüchtigte oder sich einfach auflöste…
***
Johnny Conolly stand auf dem Fleck, als wäre er dort angenagelt worden. Er hatte alles mit angesehen und irgendwann staunend den Mund geöffnet und vergessen, ihn wieder zu schließen.
Es waren Morde gewesen.
Ja, einwandfrei zwei Morde, und er war zu einem Zeugen geworden.
Ein Mann hing noch immer im Baum. Der mit dem gebrochenen Genick lag auf der Straße, und auf dem Gehsteig saß die Frau in ihrem Rollstuhl.
Es kam ihm vor wie das letzte Bühnenbild in einem Drama, bevor sich der Vorhang endgültig senkte und den geschockten Zuschauern die Sicht nahm.
Irgendwann musste Johnny den angestauten Atem ablassen. Er hörte sich dabei stöhnen.
Um ihn herum war es noch immer still.
Bis er das Geräusch eines startenden Wagens hörte. Kurz danach durchschnitt kaltes Licht die Finsternis.
Zugleich hörte er das quietschende Geräusch der Reifen, dann raste schon ein Lieferwagen auf ihn zu und huschte an ihm vorbei der Kreuzung entgegen.
Vor ihm geschah nichts mehr. Die drei Erscheinungen waren wieder verschwunden.
Es gab nur noch die Frau im Rollstuhl, die Johnny weiterhin den Rücken zudrehte.
Conolly junior steckte in einer Zwickmühle. Als Zeuge hatte er die Pflicht, die Polizei zu alarmieren. Das hätte er auch getan, hätte es sich um einen normalen Vorgang gehandelt. Aber das genau war es eben nicht gewesen. Was er hier gesehen hatte, entzog sich jeder Logik.
Daran war Johnny Conolly gewöhnt.
Hier half keine normale Polizei. Das war ein Fall für John Sinclair, der sein Patenonkel war.
Er hätte ihn und dann seinen Vater anrufen müssen. Doch auch das tat er nicht - oder noch nicht, denn es ging ihm um die junge Frau im Rollstuhl. Sie war der Mittelpunkt des ganzen Geschehens gewesen.
Johnny hatte schon zu oft in den haarsträubendsten Situationen gesteckt, als dass ihn das Entsetzen lange hätte lähmen können. So war er auch jetzt in der Lage, seine Beklemmung rasch abzuschütteln.
Von den Menschen in den nahen Häusern kümmerte sich niemand darum, was hier draußen vorgegangen war. Sie hatten wahrscheinlich gar nichts mitbekommen, weil sie in ihren Betten lagen und schliefen.
Mit dem Gedanken, dass dies auch noch länger so bleiben würde, setzte sich Johnny in Bewegung. Er hoffte, dass die drei geheimnisvollen Gestalten nicht wieder erschienen, um auch ihn zu töten, denn er wollte mit der Frau nur reden.
Er schlich nicht. Johnny ging normal und hinterließ natürlich auch Schrittgeräusche. Er sah, wie die junge
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