16 Tante Dimity und das verhexte Haus (Aunt Dimity and the Family Tree)
Land von Lady Sarah gepachtet haben. Sie hat mir gesagt, dass viele Leute von ihr abhängen und für sie arbeiten.«
» Ach ja, die Pächter…«, sagte ich, als wäre jetzt alles klar. Sally hatte offensichtlich bei ihm den Eindruck erweckt, als handele es sich bei Fairworth um einen feudalen Landbesitz, der von Bauern bewirtschaftet wurde, die ihr » Lang lebe Lady Sarah!« zuriefen, wenn sie in ihrer vergoldeten Kutsche an ihren bescheidenen Behausungen vorbeifuhr. » Ja, ja, sie haben wirklich Glück gehabt, eine so großzügige Gutsherrin zu haben.«
» O ja, das kann man wohl sagen«, sagte Henrique.
Er verschränkte die Hände hinter dem Rücken und spazierte langsam durch das Zimmer, um hie und da stehen zu bleiben und die Ölgemälde an den Wänden zu betrachten, die Porzellanfiguren auf dem Kaminsims und die Sammlung der Murano-Briefbeschwerer auf dem Schreibtisch.
» Fairworth ist ein Haus voll Schätze«, sagte er schließlich seufzend. » Wollen Sie mir vielleicht noch mehr von seine Schätzen zeigen, solange wir auf Lady Sarah warten?«
Ich stellte mir vor, wie Willis senior Sally in seinem Arbeitszimmer die Leviten las, und beschloss, so viele Wände wie möglich zwischen ihn und Henrique zu bringen. Auch wenn mein Schwiegervater in meiner Gegenwart noch nie die Stimme erhoben hatte, war sein Verhalten in letzter Zeit so unvorhersehbar, dass ich kein Risiko eingehen wollte. Immerhin stellte Sally seine Geduld auf eine harte Probe. Wenn Henrique hörte, wie seine querida von ihrem amerikanischer Cousin angebrüllt wurde, würde er womöglich den Wunsch verspüren, sie zu verteidigen. Sofort gaukelte meine überreiche Fantasie mir das Bild zweier Duellanten im Morgengrauen vor.
» Ich bin sicher, Lady Sarah würde Ihnen lieber selbst das Haus zeigen«, sagte ich. » Aber ich könnte Sie durch die Außenanlagen führen.«
» O ja, ein Spaziergang vor dem Brunch tut uns bestimmt gut«, sagte er gelassen. » Um unsere Appetit anzuregen.«
Ich drückte den Klingelknopf unter dem Kaminsims, und kurz darauf erschien Deirdre mit einer gestärkten Schürze über dem weißen Hemdblusenkleid aus dem Esszimmer.
» Bitte sagen Sie meinem Schwiegervater und Lady Sarah, dass Señor Cocinero und ich ein wenig spazieren gehen.«
» Mr Cocinero braucht doch sicher seinen Hut«, sagte sie, ohne zu zögern. » Er hängt an der Garderobe, Sir. Ich hole ihn schnell für Sie.«
» Machen Sie sich keine Mühe«, erwiderte ich, » wir werden ihn schon finden.«
» Der Brunch wird in ungefähr zwanzig Minuten fertig sein«, sagte sie.
» Gut, wir sind nicht lange unterwegs.«
Henrique und ich gingen seinen Hut holen und traten dann durch die Eingangstür nach draußen. Ich führte ihn in den Teil des Gartens, wo Rainey Dawson mich am Samstagabend so erschreckt hatte, nicht weil der besonders schön oder interessant war, sondern weil er auf der gegenüberliegenden Seite von Willis seniors Arbeitszimmer lag. Ich wies Henrique auf die schmuckvollen Schmiedearbeiten am Wintergarten hin sowie die Lamellenfenster, die man öffnen konnte, um Luft hereinströmen zu lassen, und beschrieb ihm, wie die von Buchsbaumhecken gesäumten Blumenbeete in einem Jahr aussehen würden.
» Bestimmt genauso entzückend wie die Frau, die alles geplant hat«, sagte Henrique. » Lady Sarah ist eine wahre Künstlerin. Vielleicht ich komme nächstes Jahr wieder, um den Garten in volle Blüte zu sehen.«
» Nächstes Jahr wird Lady Sarah nicht hier sein«, sagte ich geschwind. » Sondern in Amerika. Sie verbringt jeden zweiten Sommer bei ihren amerikanischen Verwandten.«
» Wie schade. Es würde mir wirklich gefallen, die Beete in ihre ganze Pracht zu sehen.« Henrique warf einen neugierigen Blick in Richtung des Stalls, wo Declan Donovan mit einer Gabel schmutziges Stroh auf eine Schubkarre häufte. » Reitet Lady Sarah auch? Aber natürlich, was für eine Frage«, sagte er und schlug sich mit der Hand vor die Stirn. » In England adelige Mädchen lernen früh das Reiten, habe ich mir sagen lassen.«
Soweit ich wusste, war Sallys pummeliger Fuß noch nie auch nur in die Nähe eines Steigbügels gekommen, aber wenn Henrique sich gern vorstellen wollte, wie sie in Lederstiefeln und Samtjackett auf einem geschmeidigen, muskulösen Jagdpferd über Zäune setzte, wollte ich ihm seine Illusion nicht zerstören.
» Ihre Pferde stehen zurzeit bei einem Nachbarn«, sagte ich, um zu erklären, warum weder im Stall noch auf den umliegenden Koppeln
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