16 Tante Dimity und das verhexte Haus (Aunt Dimity and the Family Tree)
Pferde zu sehen waren. » Der Stall wird gerade renoviert.«
» Sie scheint ihr Anwesen unermüdlich zu verschönern«, sagte Henrique anerkennend. » Sollen wir über die Weiden spazieren? Es gibt in England ja so herrliche Wildblumen.«
Wir verließen den Garten und streiften auf dem Reitweg, den Willis senior für seine Enkel hatte anlegen lassen, durch die Wiese hinter dem Haus. Wenn wir dem Pfad weiter gefolgt wären, hätten wir unweigerlich den Reitstall von Anscombe Manor erreicht. Aber wir waren kaum fünfzig Meter gegangen, als Henrique ein weißes Taschentuch aus seiner Brusttasche zog und sich die Schweißperlen von der Stirn wischte.
» Wie wir bei uns zu Hause zu sagen pflegen: Je älter der Tag, umso heißer die Sonne.« Er wedelte mit dem Taschentuch in Richtung des Waldstücks, das auf der anderen Seite das Anwesen begrenzte. » Sollen wir uns nicht lieber in den Schatten der Bäume begeben?«
Ich warf einen Blick auf meine Uhr. » Ich glaube, es wäre besser, wir würden im Haus Abkühlung suchen, Henrique. Mrs Donovan wird gleich den Brunch servieren, und wir wollen Lady Sarah nicht warten lassen.«
» In der Tat, nein«, stimmte er mir eifrig zu. » Ein rücksichtsvoller Gast lässt seine Gastgeberin nicht warten.«
Wir gingen wieder durch den Garten zurück, wo wir auf einen finster dreinblickenden Willis senior und eine Sally Pyne trafen, deren rote Nase und rot geweinte Augen davon zeugten, dass sie eine ordentliche Standpauke erhalten hatte. Deirdre Donovan sah vom Wintergarten zu uns herüber, als warte sie auf ein Stichwort, um die Szene zu betreten.
» Lady Sarah«, sagte Henrique. » Alles in Ordnung mit Ihre Geschäfte, hoffe ich? Während Sie arbeiten, Lori und ich sind spazieren gegangen. Wir machen kleine Tour über Ihre wundervolle Anwesen. Der Garten, die Wiese, der Stall, der Wald– wie die Bilder von eine Kalender.«
Ich warf einen verwunderten Blick auf die struppigen, noch nicht zu einer ordentlichen Hecke zusammengewachsenen Buchsbäume und fragte mich, in welchem Kalender man wohl solche Motive finden würde.
» Danke, Henrique«, sagte Sally, die überall hinsah, nur nicht zu ihrem Gast. » Sehr nett von dir, das zu sagen.«
» Nun weiß ich, warum du Ort deiner Geburt so liebst«, sagte Henrique. » Es un paraíso.«
Er beugte sich hinab, um ihre Hand zu küssen, doch sie entzog sie ihm.
» Du bist wirklich sehr nett, Henrique«, sagte sie und versteckte beide Hände hinter dem Rücken, » aber ich fürchte, ich muss dir eine unangenehme Neuigkeit mitteilen.« Sie warf einen flüchtigen Blick zu Willis senior und schluckte schwer, ehe sie fortfuhr: » Es tut mir wirklich sehr leid, aber ich habe mich geirrt, als ich gesagt habe, du könntest bis nächste Woche bleiben. Ich fürchte, du musst Fairworth bereits am Donnerstag verlassen.«
Da Henrique ursprünglich geplant hatte, am Mittwoch abzureisen, hatte Sally offenbar bei Willis senior einen zusätzlichen Tag herausgeschlagen. Ich vermutete, dass ein Tränenausbruch im strategisch richtigen Moment ihr nicht nur eine gerötete Nase, sondern auch diesen weiteren Tag mit ihrem mexikanischen Galan eingetragen hatte.
» Mein Cousin hat mir ein schon seit Längerem getroffenes Arrangement in Erinnerung gerufen«, fuhr sie fort, und ihre gestelzte Sprechweise hörte sich an, als hätte sie ihre Worte auswendig gelernt, » das meinen Cousin und mich zwingt, am Donnerstag Fairworth zu verlassen, denn dann wird das Haus desinfiziert.«
» Desinfiziert?« Henriques lebhafte Augenbrauen schossen nach oben. » In Mexiko man macht das, aber ich wusste nicht, dass man es auch in England macht.«
» Manchmal… ist es nötig«, sagte Sally. » Fairworth leidet nämlich unter einem furchtbaren Befall von…«
» Totenuhrkäfern«, warf Willis senior ein.
» Totenuhrkäfern«, wiederholte Sally.
» Totenuhrkäfer!«, rief Henrique aus, der gleichermaßen schockiert wie alarmiert schien. » Das sind wirklich schlechte Neuigkeiten. Mit dem Totenuhrkäfer ist nicht zu spaßen, Lady Sarah. Diese Käfer fressen Balken eines Hauses und dann– puff!– Haus nicht mehr da. Desinfektion ist wirklich notwendig, um sie aufzuhalten.«
» Notwendig, ja«, sagte Sally traurig. » Und deswegen kannst du nicht bleiben, Henrique. Fairworth wird dann die reinste Gaskammer sein.«
» Wenn du nicht da bist, querida«, sagte Henrique sanft, » was soll ich dann noch hier? Mach dir keine Gedanken mehr. Ich werde Donnerstag abreisen.«
»
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