16 Tante Dimity und das verhexte Haus (Aunt Dimity and the Family Tree)
ebenfalls ganz in Schwarz gekleidet; er trug sogar eine schwarze Mütze, um sein graues Haar zu verbergen. Während er seine langen Gliedmaßen neben mir ausstreckte und sich bequem an die Mauer zurücklehnte, legte er eine ausgeschaltete Taschenlampe zwischen uns. Er sah mich wohlwollend an, faltete die Hände in seinem Schoß und blickte geflissentlich zu den Sternen empor.
» Schöner Abend«, sagte er.
» Es ist halb eins«, erwiderte ich, nachdem ich einen Blick auf meine Uhr geworfen hatte. » Genau genommen ist es ein schöner Morgen.«
» Sieht so aus, als seien alle ins Bett gegangen.« Kit nickte in Richtung des Hauses.
Ich betrachtete die dunklen Fenster und murmelte: » Heute scheint Deirdre auf ihren Hausputz zu verzichten. Ihr Eifer lässt wohl nach. Oder«, fügte ich geheimnisvoll hinzu, » sie hat heute Nacht eine wichtigere Aufgabe zu erledigen.«
Kit blickte abermals zu den Sternen hinauf.
» Willst du nicht wissen, wovon ich spreche?«
» Ich bin kein Hellseher«, sagte Kit und neigte den Kopf zur Seite, » aber mithilfe logischer Schlussfolgerung komme ich zu dem Ergebnis, dass du das Haus bewachst, weil du glaubst, dass die Donovans etwas mit dem Einbruch zu tun haben.«
» Ja, das tue ich«, sagte ich schnell. » Ich bin überzeugt, dass sie im Crabtree Cottage eingebrochen haben, weil…«
Während der nächsten zwanzig Minuten schwelgte ich darin, Deirdre und Declan Donovan als ein charmantes Betrügerpaar zu beschreiben, das sich auf subtile Weise Willis seniors Vertrauen erschlichen hatte, sodass er sich in Sicherheit wog, damit sie ihn ungestört ausrauben konnten. Es tat gut, mir endlich alles ungehemmt von der Seele zu reden, und ich spulte meine Beweisführung atemlos hinunter. Über Sally Pyne und Henrique verlor ich kein Wort, dafür aber umso mehr über die Donovans.
Ich erklärte Kit, dass Deirdre das Sofa und den Chippendale-Sessel verschoben und den Messingkompass und die Schnupftabakdosen an eine andere Stelle geräumt hatte, um sozusagen eine Standardsituation zu schaffen, damit sich Willis senior daran gewöhnte, dass gewisse Gegenstände nicht mehr an ihrem ursprünglichen Platz standen und es nicht weiter auffallen würde, wenn sie und ihr Mann das eine oder andere stahlen. Ich erzählte von den Gesprächen über den Familienstammbaum, die ich mit Willis senior in Deirdres Gegenwart geführt hatte. Ich erwähnte den Aufzug und Deirdres Abschluss in Kunstgeschichte und verkündete mit einem Trompetenstoß, dass Declan den Familienstammbaum aus dem Crabtree Cottage gestohlen und im Wald versteckt hatte.
» Und deswegen bin ich hier«, beendete ich meine Ausführungen. » Wenn Declan das Haus verlässt und in Richtung Wald geht, folge ich ihm. Mit ein bisschen Glück erwische ich ihn auf frischer Tat mit seinem Diebesgut.«
Kit schürzte die Lippen. » Ich nehme mal an, dir ist noch nicht in den Sinn gekommen, dass Declan möglicherweise etwas dagegen haben könnte, sich auf frischer Tat ertappen zu lassen. Desgleichen nehme ich an, dir ist nicht bewusst, dass du dich in Gefahr bringen könntest.«
Ich fischte mein Handy aus der Tasche und fuchtelte damit vor Kits Gesicht herum. » Ich habe eine Kurzwahl mit der Nummer der Polizeistation eingespeichert.«
» Na, dann bin ich ja erleichtert«, sagte Kit ironisch, » wenn man bedenkt, dass die Polizei aus Upper Deeping mindestens zwanzig Minuten braucht, um hier zu sein– wahrscheinlich aber länger, da die Beamten womöglich vor sich hindösen, wenn du mitten in der Nacht anrufst. Während du auf ihr Eintreffen wartest, kannst du dich ja mit Declan über seine Zukunft unterhalten. Ich bin sicher, er ist erpicht darauf, sich mit dir das Leben im Gefängnis auszumalen.«
» Also völlig bekloppt bin ich auch wieder nicht«, entgegnete ich. » Ich habe nicht vor, über Declan herzufallen. Ich werde Abstand zu ihm wahren, die Polizei anrufen und ihn dann beobachten, bis…«
» Lori«, sagte Kit und packte mich am Arm. » Schau.«
Ich folgte seinem Blick und sah, wie jemand im Gesellschaftszimmer einen Vorhang aufzog. Ich beugte mich vor, starrte angestrengt auf das Fenster, um etwas zu erkennen, und spürte, wie mir ein Schauer über den Rücken lief, als ich im Mondschein das ausgemergelte, hohläugige Gesicht einer alten Frau ausmachte. Sie trug ein altmodisches Nachthemd mit bebänderten Ärmeln und einem hohen, gekräuselten Kragen, und ihr glänzendes, gewelltes weißes Haar fiel ihr fast bis zur Hüfte hinab.
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