160 - Martin, Deborah - Die amerikanische Braut
ich das?“
„Das weißt du ganz genau.“
„Was ist es denn für ein Gefühl zu wissen, dass jemand dein Leben in der Hand hält? Dass diese Person über deine Zukunft entscheidet und du nichts dagegen tun kannst?“
Die Anspielung auf ihre eigene Situation ließ die Wut wieder in ihm auflodern. „Du bist nicht die Einzige, die von meinem Bruder hintergangen wurde, Abby. Auch ich musste mich den neuen Gegebenheiten anpassen.“
„Das stimmt. Und warum lässt du mich deshalb nicht einen Schlussstrich unter diese verfahrene Situation ziehen, die uns beiden nur Ärger bringt?“ Sie lächelte schwach. „Du kannst es ruhig zugeben, würdest du dich nicht um einen Skandal sorgen, wäre es dir nur recht, wenn ich ginge. Ein Problem weniger. Wenn ich nicht mehr hier bin, kannst du in Ruhe nach deinem Bruder suchen. Du müsstest nicht so tun, als wärst du verheiratet, und kannst dein Junggesellenleben wieder aufnehmen. Ich sehe nur Vorteile.“
„Ich nur Nachteile.“ Als sie ihn überrascht anschaute, wandte er rasch den Blick ab, damit sie nicht die Dringlichkeit bemerkte, mit der er sie zum Bleiben bewegen wollte. „Wenn du gehst, werde ich mir Vorwürfe machen, dass du in Amerika alleine zurechtkommen musst. Die Schuld, die meine Familie daran hat, wird schwer auf mir lasten.“
„Aber dazu besteht kein Grund.“ Sie legte beschwichtigend die Hand auf seinen Arm. „Niemand verlangt von dir, dass du Verantwortung für deinen Bruder übernimmst. Du hättest mich schon längst aus dem Haus werfen können, mich beschuldigen, dass ich eine Lügnerin bin, und mich dem Gesetz ausliefern, aber du hast es nicht getan. Du hast schon viel mehr getan, als du hättest tun müssen; das weiß ich. Ich hätte mich dafür gerne revanchiert und die Rolle, die mir zufiel, besser ausgefüllt.“
„Du hast deine Rolle sehr gut gespielt“, versicherte er ihr und blickte sie an. „Dass der heutige Abend so unglücklich verlaufen ist, lag nur an mir.“ Er nahm ihre Hand. „Aber der heutige Abend hatte doch auch erfreuliche Seiten. Du hast dich gut mit meinen Freunden verstanden. Sogar das Tanzen hat dir zunächst Spaß gemacht.“
„Wenn ich nicht gerade mühsam durch meine Schrittfolgen stolperte. Die meiste Zeit habe ich mich schrecklich gefühlt. Und dir war es peinlich, da bin ich mir sicher.“
„Warum sollte es mir peinlich sein, die schönste Frau des Abends an meiner Seite zu haben? Von den wenigen Fauxpas abgesehen, habe ich es sehr genossen, mit dir auf dem Ball zu sein. Ich wollte den Abend mit niemand anderem verbringen.“
Sie entzog ihm ihre Hand. „Nicht einmal mit Genevieve?“
„Ganz bestimmt nicht mit Genevieve. Wenn ich ihre Anwesenheit einen ganzen Abend ertragen könnte, hätte ich sie vor zwei Jahren nicht verlassen.“
„Du hattest heute Abend nichts an ihrer Gegenwart auszusetzen.“ Abby wandte den Blick von ihm ab, doch er hatte den Schmerz in ihren Augen schon bemerkt.
„Wir haben uns nur kurz unterhalten. Sie fragte mich, warum ich nach all den Jahren doch noch geheiratet habe. Das war alles.“
„Und was hast du ihr geantwortet? Dass dein Erfolg dich langweilt und du deshalb beschlossen hast, dir eine neue Herausforderung in Form einer dummen amerikanischen Ehefrau zu suchen, die noch an die Zivilisation herangeführt werden muss?“
Spencer streckte die Hand aus und hob sanft Abbys Kinn empor. „Ich habe ihr gesagt, dass ich dich geheiratet habe, weil ich noch nie einer bezaubernderen Frau begegnet bin.“
Ihre Unterlippe begann zu zittern, als sie ihn betrachtete. „Mit anderen Worten, du hast gelogen.“
Er schüttelte den Kopf. „In bestimmten Angelegenheiten lüge ich nie.“
„Ist das wahr?“ Ihre Mimik spiegelte widerstreitende Gefühle wider. „Verrat mir nur eines, Spencer: Hast du eine Geliebte?“
„Ich habe dir doch gesagt, dass Genevieve und ich …“
„Ich meine nicht unbedingt sie. Irgendein Mädchen, das du in einem Haus in einem weniger vornehmen Teil der Stadt untergebracht hast. Denn nach allem, was ich heute Abend gehört habe, tun das annähernd die Hälfte aller verheirateten und fast alle unverheirateten Männer.“
„Du liebe Güte, wer hat dir denn das erzählt? Ich weiß, dass du so etwas kaum von Evelina und Lady Clara erfahren würdest.“
Abby zog eine Augenbraue hoch. „Ich habe sehr viel Zeit im Erfrischungsraum verbracht, da ich mein Fichu immer wieder feststecken musste. Dort hört man so einiges.“
„Wenn dir irgendetwas
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