160 - Martin, Deborah - Die amerikanische Braut
wundervollen dunkelroten Mund …
„Du hast ihr gestern ein Lied vorgesungen“, meinte Nat.
„Ich habe ihr von der Hochzeit des Figaro erzählt, und sie wollte etwas daraus hören. Worauf willst du hinaus?“
„Du hast in deinem ganzen Leben noch nie irgendjemandem etwas vorgesungen!“
„Es gab nie einen Anlass dazu.“
„Es wäre dir nie in den Sinn gekommen“, erwiderte Nat trocken. „Bis du Miss Mercer getroffen hast. Und plötzlich verbringst du den ganzen Tag damit, mit einem hübschen Mädchen aus Übersee zu plaudern …“
„Was sollte ich denn sonst tun, während du mit ihrem kranken Vater Geschäfte machst?“ Spencer blickte in seinen Becher, der schon wieder leer war.
„Du scheinst mich zumindest nicht vermisst und dich bestens mit ihr unterhalten zu haben.“
Ganz genau. Sie war unterhaltsam, natürlich, unkompliziert -sehr amerikanisch und ganz anders als all diese englischen Misses, die sich von seinem Titel und seinem Vermögen beeindrucken ließen. Miss Mercer war ganz unbefangen und behandelte ihn, als wären sie beide einander ebenbürtig.
Sie besaß sogar die Dreistigkeit, ihn wegen seiner ständigen Grübeleien aufzuziehen! Er kannte keine Engländerinnen, die so etwas wagen würden. Wegen seines gesellschaftlichen Ranges -oder weil sie von seiner Ernsthaftigkeit eingeschüchtert waren -konnten sie in seiner Gegenwart nie unbeschwert sein.
Engländerinnen schienen auch kein Interesse an Diskussionen zu haben, geschweige denn an Politik. Aber Miss Mercer stürzte sich mit der für ihre Landsleute so typischen Zuversicht und Begeisterung in jede Auseinandersetzung.
Sie faszinierte ihn.
„Eigentlich“, fuhr Nat fort und riss Spencer aus seinen Gedanken, „bin ich sehr erfreut, dass ihr beide euch so gut versteht. Es könnte mir helfen, ihren Vater für mein Vorhaben zu erwärmen.“ Er straffte die Schultern. „Hast du dir mittlerweile überlegt, ob du mir etwas Geld vorstrecken kannst?“
Spencer langte über den Tisch nach dem Becher seines Bruders. Noch war er nicht betrunken genug, um sich mit Nats finanziellen Eskapaden zu befassen. „Damit du deinen verrückten Plan, in Dr. Mercers Unternehmen einzusteigen, umsetzen kannst?“
„Es ist ein guter Plan“, entgegnete Nat. „Ich weiß, dass du Vorbehalte gegen die Mercer Medicinal Company hast, aber aus den Geschäftsbüchern geht hervor, dass sich das Mittel in den letzten sieben Jahren sehr gut verkauft hat. Wäre Dr. Mercer nicht krank geworden, würde er jetzt ein reicher Mann sein, anstatt von seinen Gläubigern verfolgt zu werden. Er braucht nur jemanden wie mich, der das Unternehmen wieder auf Vordermann bringt, während er sich nicht um die Geschäfte kümmern kann.“
„Er wird sich nie wieder um die Geschäfte kümmern“, berichtigte ihn Spencer. „Der Mann liegt im Sterben, Nat.“
„Aber dann sollte er gerade an mich verkaufen!“ rief Nat ungerührt. „Und du hättest mich niemals nach Amerika begleitet, um dir die Firma anzusehen, wenn dir die Investition nicht auch lohnend erschiene.“
Spencer ließ sich seufzend gegen die Wand sacken. „Ich konnte dich nicht alleine gehen lassen … bei deiner Vorgeschichte.“
Nat schnaubte wütend. „Musst du mir meine Misserfolge immer wieder vorhalten? Du solltest dabei nie vergessen, dass ich immer nur versucht habe zu tun, was du wolltest. Ich habe dir gleich gesagt, dass ich für die Juristerei nicht tauge, aber du hast darauf bestanden, dass ich studiere – also habe ich es getan.“
„Anscheinend nicht sehr gewissenhaft, sonst wärst du nicht durch die Prüfungen gefallen. Und was war mit der Marine? Nicht einmal mein Einfluss konnte deinen Rauswurf verhindern.“
Nat verzog das Gesicht. „Ich bin eben für die Marine ungeeignet. Ich kann nicht einmal eine Kutsche geradeaus lenken!“ Er beugte sich vor und senkte die Stimme. „Aber ich weiß, dass ich mit der Firma Erfolg haben werde, weil ich gut mit Zahlen umgehen kann. Das ist auch der Grund, weshalb ich beim Spielen immer so viel gewonnen habe.“
„Immer?“ Spencer trank den Apfelwein in Nats Becher aus. Wo zum Teufel steckte nur die Bedienung?
„Gut, an einem Abend war ich leichtsinnig – und du musstest dafür bezahlen.“
„Eine ziemliche Summe, soweit ich mich erinnere.“
„Ich weiß, ich weiß. Aber diesmal ist es anders. Der alte Mercer hat keine Wahl. Er will seine Firma nicht allein seiner Tochter vermachen, da er glaubt, ihr fehle der Geschäftssinn, um das
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