1603 - Der Geistertänzer
möglicherweise mit in diesen Kreislauf gerissen worden und hatte Glück, dass sie noch lebte.
Ich ging zurück in den Flur.
»Hast du sie gesehen?«, fragte Suko.
»Ja - leider.«
»Grausam, nicht?«
Ich nickte und fragte: »Wer ist die Tote?«
»Paula Ashley.«
»Das dachte ich mir. Und die Frau hier? Wer ist sie?«
»Isabel Kessler.«
»Oh.«
»Ja, die Tänzerin. Die Partnerin des toten Julius Crane. Der Kreis scheint sich zu schließen.«
So optimistisch sah ich die Dinge nicht. Das wollte ich Suko auch sagen, kam jedoch nicht dazu, denn Isabel Kessler drehte plötzlich durch. Sie ließ ihre Hände sinken, und so schauten wir in das verweinte Gesicht, das zudem noch verquollen war.
»Tot!«, schrie sie. »Meine Güte, sie ist tottottot…«
Isabel war völlig verstört. Sie bewegte ihren Kopf von einer Seite zur anderen. Sie trommelte mit den Fäusten gegen den Fußboden und konnte sich kaum beruhigen.
Wir warteten ab, bis sie sich wieder gefangen hatte. Suko sprach sie dann an.
»Ich weiß, dass es für Sie schlimm ist. Aber Sie sollten daran denken, dass Sie leben. Sie sollten nach vorn sehen, so schlimm es für Sie auch gewesen sein mag.«
»Sie ist tot…«
»Das können Sie nicht mehr ändern.«
»Und ich trage die Schuld.«
»Wie kommen Sie darauf?« Isabel Kessler zog die Nase hoch.
»Ich habe sie schließlich besucht und sie überredet, den Kontakt herzustellen.«
Auch ich hatte ihre Antwort mitbekommend Das Bild aus dem anderen Zimmer stand wieder vor meinen Augen. Den Anblick der Toten schob ich zur Seite, weil ich an etwas anderes dachte. Ich hatte auf dem Tisch eine bläuliche Kristallkugel gesehen, und sie in Verbindung mit dem Begriff »Kontakt« zu bringen war recht einfach.
»Ist Paula ein Medium gewesen?«
»Ja, das war sie. Deshalb bin ich zu ihr gegangen.«
»Was wollten Sie von ihr?«
»Kontakt haben.«
»Mit Julius?«, fragte ich.
»Ja.« Nach dieser Antwort stutzte sie und schaute schräg hoch, sodass sie mich ansehen konnte. »Wie kommen Sie auf Julius? Woher kennen Sie ihn?«
»Ich habe ihn gesehen.«
»Wo?«
»Gestern Abend.«
»Aber er ist tot«, flüsterte sie.
»Ja, ich habe ihn auch nicht als Lebenden gesehen, er erschien auf der Eislaufbahn als Geist. Und das ist nicht zum ersten Mal passiert.«
Ein Wärmestoß durchfuhr die Frau, und wir sahen, dass sie ein rotes Gesicht bekam.
Suko streckte ihr die Hand entgegen. »Wollen Sie nicht aufstehen, Isabel?«
Das ließ sie sich nicht zweimal sagen. Sie ergriff die Hand und erhob sich mit einer geschmeidigen Bewegung. Da sah man schon, welch einem Beruf sie nachging.
»Ich will nicht zurück ins Zimmer, in dem Paula liegt.«
Das war verständlich. Wenig später hatten wir eine kleine Küche betreten. Es gab nur einen Stuhl, auf den setzte sich Isabel Kessler und schaute ins Leere.
Für uns war sie eine wichtige Zeugin, aber wir wollten sie auch nicht drängen und hielten uns mit unseren Fragen zurück. Isabel atmete heftig, presste die Fäuste gegen ihre Schläfen und schüttelte einige Male den Kopf.
»Es war einfach nur grauenhaft, und ich habe das alles nicht gewollt.«
»Das denken wir auch«, sagte Suko. »Aber wären Sie in der Lage, uns einen Bericht zu geben?«
»Sie wollen alles wissen?«
»Ja, wenn möglich.«
»Das ist schlimm.«
»Aber es hat etwas mit der Kugel auf dem Tisch zu tun?«
Isabel nickte. »Ja, denn durch sie konnte Paula den Kontakt zu Julius herstellen. Ich habe das auch nicht gewusst und war entsprechend überrascht. Ohne ging es wohl nicht.«
»Woher kannten Sie Paula Ashley?«
»Vom Theater her. Sie ist oder war Garderobiere. Aber sie hat sich immer mit dem Übersinnlichen beschäftigt. Das wusste jeder. Sie glaubte auch an Geister. Deshalb bin ich zu ihr gegangen. Sie sollte mir Julius zurückholen. Ich wusste ja, dass er noch existiert. Er hat mich in der Nacht aufgesucht, und es war einfach wunderbar. Wir haben getanzt. Ich fühlte mich wie im Himmel. Es war so, als wäre er nicht tot. Nur war er eben ein Geist…«
Wir ließen sie sprechen. Es war besser so. Sie musste sich alles von der Seele reden. Und so erfuhren wir nicht nur von ihrer Begegnung mit ihrem Tanzpartner, sondern auch das, was hier in der Wohnung geschehen war.
Es musste für sie der absolute Horror gewesen sein. Erleben, wie sich ein Mensch so verändern konnte, das war schon der reine Wahnsinn.
Dabei hatte sie keinen Gegner gesehen, und das betonte sie noch mal.
»Es waren alles Angriffe
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