1603 - Der Geistertänzer
der menschliche Verstand nicht begriff und auch nie begreifen würde.
Es gibt Menschen, die behaupten, dass die Toten unter uns sind. Sie leben nur auf einer anderen Ebene. Der Körper vergeht, der Geist bleibt, er sucht sich eine andere Sphäre aus, und manchmal kommt es vor, dass sich beide Seiten überlappen. Dann wird die normale Welt von Erscheinungen heimgesucht, wie man sie bei Julius Crane sehen kann.
Ich persönlich hielt ihn nicht für einen bösen oder negativen Geist. Ich war sehr nahe an ihn herangekommen und erinnerte mich daran, dass mein Kreuz nicht negativ reagiert hatte, als ich auf den Geistertänzer getroffen war.
Man konnte bei ihm von einem guten Geist sprechen und…
Ein Schrei unterbrach meine Gedanken. Isabel Kessler hatte ihn ausgestoßen. Es hielt sie auch nichts mehr auf ihrem Stuhl. Mit einer schnellen Bewegung sprang sie hoch.
Suko stand ihr näher und fragte: »Was haben Sie?«
Die Tänzerin musste erst nach Luft schnappen. Dann flüsterte sie: »Er ist hier. Ganz in der Nähe.«
»Julius Crane?«
Sie nickte nur, denn sprechen konnte sie nicht…
***
Auch ich hatte die Antwort gehört. Diesmal saß ich nicht wie auf heißen Kohlen, sondern hatte das Gefühl, mit nackten Füßen auf ihnen zu stehen. Ich war auch blass geworden und bewegte meinen Kopf in alle Richtungen, um herauszufinden, wo er sich aufhielt.
Der Geistertänzer war nicht zu sehen. Da sich auch mein Kreuz nicht meldete, mussten wir der Tänzerin schon Glauben schenken, denn sie besaß den besten Draht zu ihm.
Nachdem einige Sekunden verstrichen waren, wandte ich mich an sie.
»Gut, wir haben es gehört. Können Sie uns sagen, wo sich Julius aufhält?«
»Nein, ich habe ihn nur gespürt.«
»Was haben Sie gespürt?«, wollte Suko wissen.
»Seine Nähe. Ich - ich - ich kann Ihnen das schlecht erklären. Ich habe ihn gespürt, verstehen Sie?«
»Hat er mit Ihnen gesprochen?«
»Nein.«
»Hat er auf eine andere Weise Kontakt mit Ihnen aufgenommen, Isabel?«
»Auch nicht, wenn Sie meinen, dass ich seine Stimme gehört habe«, flüsterte sie. »Das kann vielleicht noch kommen, aber ich weiß jetzt, dass er mich nicht aus den Augen lässt.«
Das sollte uns eigentlich beruhigen. Aber ich hätte ihn schon gern zu Gesicht bekommen. Auf der Eisbahn hatte ich ihn ja einmal gesehen, und jetzt hoffte ich, dass es sich wiederholen würde. Aber dazu konnten wir nichts beitragen, das musste von der anderen Seite her kommen.
Isabel wollte ihn finden. Es brachte sie nicht weiter, wenn sie am Tisch stehen blieb. Sie gab sich zunächst einen Ruck, dann ging sie weiter. Und sie versuchte sich durch keinen Laut ablenken zu lassen. So leise wie möglich setzte sie ihre Füße auf dem Weg zur Küchentür hin auf.
Auf der Schwelle blieb sie stehen. Sie drehte sich um. Und wir schauten nicht mehr auf ihren Rücken. Dafür blickten wir in ein bleiches Gesicht, auf dem sich einige Schweißtropfen verteilten.
»Kontakt?«, fragte ich leise.
Sie winkte ab. »Jetzt nicht mehr.« Dann entspannte sie sich. »Er war vorhanden, das schwöre ich Ihnen!«
»Und du kannst dich nicht auf dein Kreuz verlassen«, flüsterte Suko mir zu. »Ein schwaches Bild.«
»Bei dir reagiert es ja auch nicht. Denk mal über seine wirkliche Funktion nach. Es warnt mich, wenn etwas Negatives auf mich zukommt, und das ist bei Julius offensichtlich nicht der Fall.«
»Dann werden wir ihn wohl kaum finden.«
Ich war anderer Ansicht. »Doch, wir werden ihn finden - oder er findet uns. Er steckt in einer Klemme, aus der er ohne Hilfe nicht mehr herauskommt. Und Hilfe bekommt er nicht auf seiner Seite der Existenz, das lass dir gesagt sein.«
»Warten wir es ab.«
Die Tänzerin hatte uns nicht länger zugehört. Sie war in den Flur gegangen. Dort hörten wir auch ihre Stimme und verhielten uns selbst ruhig.
»Julius!«, rief sie. »Bitte, Julius ich weiß, dass du dich in der Nähe aufhältst! Warum zeigst du dich denn nicht? Du bist doch auch in der letzten Nacht bei mir gewesen. Wir sind nicht deine Feinde. Wir sind hier, um dir zu helfen…«
Suko und ich lauschten, ohne uns bemerkbar zu machen. Es konnte sein, dass Isabel den richtigen Weg ging, da wollten wir nicht stören.
Was zählte, war der Erfolg.
Ich dachte wieder an die Begegnung auf der Eisbahn. Da hatte ich nicht den Eindruck gehabt, dass es sich um einen Geist handelte. Mehr um ein Zwischenwesen.
»Bitte, Julius, hör mich doch an! Zeig dich uns!«
Hatte ihr Flehen Erfolg?
In den
Weitere Kostenlose Bücher