1609 - Shaos Rachetour
zugleich zu sein von diesem wunderbaren Anblick, der ihr auch die Sprache verschlug.
Auf dem Tuch lag ein Kristall. Ein facettenreiches Kleinod, das in einer hellen grünen Farbe schimmerte und ein wundersames Strahlen abgab, das ihr, zusammen mit dem Anblick, beinahe dem Atem raubte.
Jedenfalls atmete sie nur schwach durch die Nase, und sie merkte zudem, dass sie einen roten Kopf bekommen hatte.
Es fiel ihr schwer, den Blick von diesem wunderbaren Kristall zu lösen und Kenny Han anzuschauen.
»Das ist es, Shao, dein Erbe.«
Es wurde wieder still zwischen den beiden. Shao wirkte äußerlich sehr ruhig, doch im Innern zitterte sie schon. Sie strich fahrig durch ihr Gesicht.
»Er ist so wunderbar…«
»Ja, das ist er!«, bestätigte Kenny.
»Und es ist wirklich das Auge der Sonnengöttin?«
»Ja, in ihm ist ihr Licht eingefangen. Ich weiß nicht, wie alt der Kristall ist, aber er muss noch vor ihrer Verbannung entstanden sein. Meine Vorfahren haben den Auftrag erhalten, diesen so unermesslich wertvollen Stein zu schützen. Ich weiß nicht einmal, aus welch einem Material er besteht.«
Er hob die Schultern. »Und ich glaube auch nicht, dass es wichtig ist.«
Shao nickte. »Ja, das kann sein.« Sie konnte den Blick einfach nicht vom Kristall lösen.
Das Mineral hatte zwar eine grüne Farbe, war aber trotzdem durchsichtig. Das grünliche Farbenspiel strahlte Feuer und Glanz aus, aber es war nicht so, dass es dem Betrachter Furcht eingejagt hätte.
»Er gehört jetzt dir, Shao.«
Sie nickte. »Ja, ich weiß. Aber ich kann es noch immer nicht fassen.«
»Natürlich. Er befindet sich jetzt in deinem Besitz, und das soll auch so bleiben.«
Das nahm Shao hin. Trotzdem krauste sie die Stirn.
»Und was habe ich davon?«
»Er ist ein Schutz. Das Licht der Sonnengöttin ist so etwas Wunderbares und Strahlendes, dass du dadurch zu einem anderen Menschen wirst. Es ist ihr Vermächtnis. Hüte es gut.«
Shao schluckte und flüsterte danach: »Ja, das verstehe ich, Kenny. Das verstehe ich gut. Aber es ist noch Theorie. Ich muss erst wissen, was das in der Praxis bedeutet.«
»Da kann ich dir auch nicht helfen. Man sagt, dass die Kraft der Sonne einen Menschen erfüllt, der diesen Stein trägt. Und du hast ja gesehen, dass er an einem schmalen Lederband hängt. Es ist oben an dem kleinen Haken befestigt. Du musst dir den Stein umhängen. Du musst ihn auf deiner Haut spüren und nahe an deinem Herzen haben. Erst dann wirst du erleben, wie es dich erfüllt.«
»Ja, das denke ich auch.«
»Dann bitte.«
Shao zögerte noch. Die Sache war ihr immer noch etwas suspekt, und so fragte sie mit leiser Stimme: »Aber was ist mit den Menschen, die hinter dir her waren oder noch sind? Es gibt ja nicht nur das Licht, sondern auch die Dunkelheit.«
»Das ist schon wahr.«
»Und jetzt, Kenny? Wie wird die andere Seite reagieren?«
»Das ist ein Punkt, den wir nicht außer Acht lassen dürfen. Ich denke, dass sie nicht aufgeben werden, den Stein in ihre Gewalt zu bekommen. Leider.«
»Und wer sind die? Haben sie auch einen Namen? Oder sind es nur Menschen, die…«
»Nein, nein, sie sind schon organisiert. Sie haben sich auch einen Namen gegeben. Sie nennen sich die Söhne Nippons.«
Shao schüttelte den Kopf. »Bitte? Die Söhne Nippons? Den Begriff habe ich noch nie gehört.«
»Er ist auch nicht so bekannt.« Kenny Han holte tief Luft und schaute auf seine zusammengelegten Hände. »Man kann die Söhne Nippons als eine geheime Organisation bezeichnen. Sie treten nicht an die Öffentlichkeit, aber sie sind sehr mächtig und wollen noch mächtiger werden, indem sie das Auge der Amaterasu an sich bringen. Das ist ihr Ziel. Dafür kämpfen sie mit aller Macht.«
Shao überlegte. Was sollte sie dazu sagen? Nichts, sie wusste zu wenig.
Jedenfalls musste der vor ihr liegende Stein eine große Macht in sich bergen.
Sie hob den Blick und fragte mit leiser Stimme: »Wer hat ihn hergestellt? Kannst du das sagen?«
»Nicht hundertprozentig. Ich kann nur das wiedergeben, was ich von den Ahnen weiß. Die Sonnengöttin hat das Licht darin gefangen, so sieht es aus.«
»Ja, das muss ich wohl glauben.«
»Und du musst daran denken, dass der Stein jetzt dir gehört. Du bist die Letzte in der Ahnenreihe, vergiss es nie.«
Shao war noch nicht bereit, sich das Kleinod umzuhängen.
»Und ich habe Feinde«, sagte sie. »Ab jetzt sind mir die Söhne Nippons auf der Spur. Kannst du mir nicht doch etwas mehr darüber sagen?« Sie sprach
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