1609 - Shaos Rachetour
Rückseite mit einem Blutklumpen versehen hervor.
Der Sohn Nippons lief trotzdem noch weiter, als hätte er einen heftigen Stoß erhalten. Dann rutschte er aus und fiel nach vorn. Als Toter landete er auf der Motorhaube.
Es waren noch drei. Und Shao hatte bereits die Sehne gespannt und den nächsten Bolzen aufgelegt.
Aber einer der Söhne war schneller gewesen als sie - und auch als Suko und ich. Er hatte aus dem Stand heraus sein Messer geworfen.
Shao, die nach wie vor auf dem Autodach stand, hatte so gut wie keine Chance, der tödlichen Klinge zu entgehen. Sie würde wuchtig in ihre Brust stoßen.
Suko schrie ihr etwas zu.
Shao hörte nicht.
Sie blieb einfach stehen und ich dachte in diesem Moment, dass sie wissentlich dem Tod ins Auge sah.
Das war nicht der Fall. Wovon wir uns mit eigenen Augen überzeugen konnten.
Vor Shaos Brust hing das Auge der Amaterasu, und das strahlte genau im richtigen Moment auf. Eine grünweiße Lichtaura breitete sich aus und schoss dem anfliegenden Messer entgegen.
Wir sahen nicht viel von Shao, weil die Hälfte ihres Körpers von diesem wunderbaren Licht umgeben war, das mich an das Licht meines Kreuzes erinnerte.
Nur war dieses hier grün, und genau dort hinein hatte der Japaner das Messer geschleudert.
Es traf nicht.
Es wurde auch nicht abgelenkt. Es jagte in das Licht hinein - und verglühte.
Einen Moment später verschwand die grünweiße Helligkeit, und Shao stand wieder da wie vor dem Wurf. Bewaffnet und zum Schuss bereit, aber unverletzt. Die Klinge hatte sie nicht mal geritzt. Und sie war auch nicht mehr zu sehen.
In den nächsten Sekunden trat eine tiefe Stille ein. Selbst die Söhne Nippons rührten sich nicht mehr. Sie hatten eingesehen, dass sie verloren hatten.
Ich wollte durchatmen, was ich nicht so recht schaffte. Ich produzierte mehr ein Stöhnen und sah, wie sich Shao bewegte. Sie glitt auf die Kühlerhaube und sprang von ihr zu Boden, die Armbrust noch immer im Anschlag.
Ich kannte sie gut. Unsere Freundschaft hatte über Jahre hinweg Bestand gehabt, in diesen Augenblicken jedoch kam sie mir wie eine Fremde vor, als sie wie eine Siegerin den Kampfplatz abschritt, um zu schauen, was mit ihren Feinden geschehen war.
Zwei lebten nicht mehr.
Zwei andere klammerten sich noch an ihren Waffen fest, und einer war waffenlos. Er sah Shao besonders starr an. Vor allen Dingen das Auge der Sonnengöttin.
Sie blieb in der Position stehen, um von allen gesehen werden zu können. Suko und ich hielten uns zurück, denn wir ahnten, dass sie zu einer Rede ansetzen wollte.
Shao enttäuschte uns nicht. Nach einem knappen Nicken übernahm sie das Wort.
»Ich bin die wahre Erbin des Auges. Und ich sage euch hiermit, dass genug Blut geflossen ist. Ich selbst habe diese Rache nicht gewollt. Man hat mir keine andere Wahl gelassen. Aber ich möchte sie nicht bis zum bitteren Ende durchführen, was für euch mit dem Tod enden würde, nicht für mich. Es sind außergewöhnliche Umstände eingetreten, von denen ich hoffe, dass sie sich nie wiederholen werden. Deshalb gebe ich euch frei. Ja, ihr könnt gehen. Verschwindet aus meinem Leben und kehrt nie mehr hierher zurück.«
Die Söhne Nippons schauten sich an. Ihre Waffen mussten sie zurücklassen, ebenso wie ihre toten Kameraden. Aber sie gehorchten, senkten ihre Köpfe und gingen in Richtung der Aufzüge davon.
Shao nahm die Maske ab, bevor sie sich an uns wandte.
»War es richtig, was ich getan habe?«
»Es war deine Entscheidung«, sagte Suko. »Danke.«
»Und es hat genügend Tote gegeben«, fügte ich hinzu. »Da werden wir noch was zu erklären haben. Letztendlich zählt, dass das Auge der Sonnengöttin seinen wahren Besitzer gefunden hat.«
***
Der Fall hatte trotzdem noch ein Nachspiel. Und zwar zwei Tage später.
Da fand eine Gruppe Schneewanderer nicht weit von London entfernt drei Leichen in einem kleinen Teich. Es waren Männer japanischer Herkunft.
Die Körper schwammen tot an der Oberfläche aus Eis und Wasser.
Der herbeigerufene Polizist stellte fest, dass sie nicht eines natürlichen Todes gestorben waren. Tiefe Bauchwunden hatten für ihr Ableben gesorgt, und ein Spezialist, der hinzugezogen wurde, kannte die Lösung.
Die drei Japaner hatten sich selbst umgebracht. Und zwar auf eine traditionelle Art und Weise.
Harakiri!
Sie hatten die Schande der Niederlage nicht ertragen können und waren deshalb aus dem Leben geschieden…
ENDE
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