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1610 01 - Der letzte Alchimist

1610 01 - Der letzte Alchimist

Titel: 1610 01 - Der letzte Alchimist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Gentle
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Mädchen.
    Eine Bewegung erregte meine Aufmerksamkeit.
    Ravaillac stand auf dem Kutschrad.
    Seine erhobene Hand schoss nach unten und kam wieder hoch – begleitet von einem Bogen feinster Tropfen in der Luft. Blutstropfen. Das muss Blut sein, dachte ich benommen. Lieber Gott, er hat tatsächlich den König getroffen!
    Ravaillacs Hand mit dem Messer stieß noch zweimal zu. D'Epernon warf sich über den König, und Ravaillac stieg vom Hinterrad der Kutsche herunter, die Hände an den Seiten, als hätte ihn plötzlich alle Kraft verlassen.
    Mir blieb nur eine Sekunde, um zu d'Epernon zu blicken und mir zu denken, dass dieser korpulente Herr mittleren Alters, welcher der Feind meines Herren war, Mut besaß, auch wenn er seine Laufbahn bei Hofe als einer der Lustknaben Heinrichs III. begonnen hatte.
    François Ravaillac stand zwischen d'Epernon und Laverdin, blickte zu mir hinüber und sagte in ruhigem, fragendem Tonfall: »Messire Belliard?«
    Er hätte scheitern sollen!, protestierte mein Verstand, während ich auf den Leib in der Kutsche starrte, und La Force einen Mantel über Heinrichs Gesicht legte. Wie konnte etwas derart Ungeplantes gelingen?
    Mir verschlug es den Atem wie einem Mann, der vom Pferd gefallen ist. Heinrichs Männer hätten Ravaillac überwältigen sollen, bevor er auch nur in die Nähe des Königs gekommen war. Wären sie unfähig gewesen, das zu bewerkstelligen, hätte ich neben François Ravaillac gestanden und den Mann selber umgebracht.
    Unter der Kutsche glänzte die dreckige Straße von der Flüssigkeit, die aus der Kabine tropfte, über das Pflaster rann und im Rinnstein versickerte. Blut floss wie in einem Schlachthof.
    Das war keine oberflächliche Verletzung. Ich starrte vor mich hin. Wenn Ravaillac bei der Attacke getötet worden wäre, hätte man bluffen können. Oder wenn die Menge ihn zu Tode geprügelt hätte. Aber sie haben ihn gefangen genommen. Man wird ihn verhören, und er wird zusammenbrechen. Man kann beweisen, dass ich mit ihm zusammen war.
    Und der König hatte sich auf dem Weg zu Sully befunden. Guter Gott! Was kann die Königin sich mehr wünschen? Heinrich auf dem Weg zum Herzog ermordet, den er wegen finanzieller Ungereimtheiten zur Rede hatte stellen wollen!
    Schreiend und quiekend wie das Schwein aus der Gehenna flohen junge Ferkel in alle Richtungen, zwangen Menschen, ihnen aus dem Weg zu springen, und machten Pferde scheu. Im selben Augenblick schrie d'Epernon den Kutscher an, die Kutsche zu wenden und wieder zum Palast und den Ärzten dort zu fahren. Laverdin verstärkte seinen Griff um François Ravaillac, und ich bahnte mir brutal einen Weg durch die überfüllte Straße zum Tor des Cimetière des Innocents.
    Maria di Medici ist im Louvre!
    Dort wurden gerade die Girlanden für ihren Einzug als Königin aufgehangen. Ich würde sie an den Pranger stellen, nahm ich mir vor. Da steht Heinrichs Mörder; da ist die Mörderin!
    Unter solchen Umständen hasse ich Städte. Agenten führen ihren Krieg im Untergrund, ich jedoch ziehe den Kampf auf offenem Feld vor. Auch wenn das heißt, tagsüber in furchtbarer Hitze oder fauligem Regen marschieren zu müssen, auch wenn das Wachdienst und Nachtalarm bedeutet und die schrecklichen Wunden, die Piken oder Musketen dem Leib eines Mannes zufügen können, so ist man doch frei von Straßen, in denen man sich vor lauter Gedränge kaum noch bewegen kann – und wird man auf dem Schlachtfeld doch einmal in die Enge getrieben, so kann man sich zumindest mit Rapier und Klingenbrecher einen Weg frei schlagen.
    Ich schob mich durch die Menge, trat durch das Tor des Cimetière des Innocents, lief die schmalen weißen Pfade zwischen den Gräbern entlang … und hörte, wie de Vernyes meinen Namen rief.
    Ich blickte über die Schulter und sah ihn mit dem Schwert in der Hand. Er trat seiner Stute die Sporen in die Flanken und kam auf diese Art weit schneller als ich durch die Frauen, Bürger und Straßenkinder, die er schlicht über den Haufen ritt. Er rief irgendetwas Unverständliches. Ich dachte nur, Ich habe jetzt keine Zeit dafür, und rannte und sprang über die Grabsteine und zwischen ihnen hindurch, als könne die Wut mir Flügel verleihen.
    Die teuren Grabsteine stehen auf dem Cimetière dicht beieinander, Mausoleen höher als ein Mann; man kann unmöglich über ihre Giebel hinwegblicken. Ich lief zwischen ihnen hindurch in Richtung Osten, und wenn ich auf kaum hüfthohe Gräber stieß, blieb ich kurz stehen, um mich zu

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