1610 01 - Der letzte Alchimist
Ich streckte mein Rapier aus; die Klinge glitzerte wie frisch geölt.
»Wessen Trick ist das diesmal? Schon wieder Fludd? Lanier? Komm heraus, Aemilia! Ich werde diese Albernheit nicht noch einmal mitmachen!«
Aufgeschreckt durch den Lärm huschten ein paar schwarze Schatten geräuschlos durch das Laternenlicht. Ich hörte nichts, was auf die Anwesenheit eines anderen Mannes hingewiesen hätte – oder einer Frau.
»Also schön … Was haben sie dir bezahlt?« ich packte die Frau mit meiner freien Hand am Kragen, riss sie in die Höhe und warf sie mit dem Rücken gegen den Fels. »Eine Schauspielerin! Hör mit diesem Geplapper auf, du ›Irre‹!«
Sie schaute mich über meine Faust hinweg an. Die Tränen quollen ihr aus den Augen. Zitternd lächelte sie.
» Oh, cielo , misericordioso , voi non potete credere quanto mi fate felice !« Dann wechselte sie zu gebildetem, aber akzentbehaftetem Französisch. »Oh, gütiger Gott im Himmel, Ihr glaubt ja gar nicht, wie glücklich Ihr mich macht, Messire!«
Ich drückte ihr die Klinge unters Kinn, knapp oberhalb meiner Faust, und Bluttropfen sickerten aus ihrer Haut. »Wer hat dir meinen Namen genannt?«
Sie lächelte weiter. Ihre bleiche Zunge schoss hervor, und sie leckte sich die Tränen ab, die bis zum Mund gelaufen waren. Sie schaute mich an, und ihre Augen glänzten voll Freude.
Ich schnappte: »Ich hatte schon Recht. Du bist verrückt!«
»Ihr tut mir nicht weh.« Sie zuckte noch nicht einmal unter dem Druck meiner Klinge. »Ihr seid hier. Ihr seid hier …«
Spontane Freude ist wohl das Gefühl, was man am schwersten vortäuschen kann. Tränen, Angst, Ekel und dergleichen sind wesentlich einfacher. Wer auch immer sie hierher gebracht hatte … Sie war wirklich überglücklich, Valentin Raoul Rochefort zu sehen.
Warum?
»Glaubt Fludd etwa, dass mich zwei Wahrsager mehr beeindrucken als einer?«, verlangte ich zu wissen. Die schwarzen Augen in dem blassen Gesicht schauten mich benommen an. Sie strahlte. Ich mag es nicht, alte Frauen zu schlagen, aber eine von Fludds Schachfiguren … Ich schüttelte sie hart und hielt sie nach wie vor gepackt.
»Du kannst es mir einfach sagen, grand'mère , oder ich prügele es aus dir heraus! Er hat dir meinen Namen genannt. Jetzt sag du mir seinen!«
»Ich habe mich selbst hierher gebracht, Valentin.« Sie hing in meinem Griff, ihre Stimme klang heiser, und sie schaute mich mit feuchten Augen an. »Ich habe auf dich gewartet. Zehn Jahre lang habe ich gewartet. Und nun … no ghe credo ! Egal, wie sicher ich auch war … Du bist es, du bist es, Rochefort, du bist es …«
Ich nahm mein Schwert weg und ließ sie los.
Doch sofort packte ich ihren Arm, als sie an der Wand hinunterrutschte.
So sehr ich mich auch über mich selbst wie über sie ärgerte – was kümmerten mich die alten Knochen? –, ich hockte mich vor sie, als sie in eine kniende Position zusammensank. Ihr Rock fiel nach unten; das Haar war frei, und ihr Kittel verrutschte. Ich sah etwas an ihrer Hüfte.
Ein Rosenkranz. Altes, poliertes dunkles Holz hing an einer Kordel, die ihr als Gürtel diente. Offensichtlich war er viel benutzt. Das metallene Kruzifix funkelte im Laternenlicht.
Ich hob die Augenbrauen. »Zwar ist nicht ganz England ketzerisch, aber trotzdem ist es nicht klug, so etwas zu tragen. Du hast auf mich gewartet, und jetzt wirst du mir ohne Zweifel auch meine Zukunft vorhersagen. Soll ich das etwa glauben?«
Sie lachte.
In der Leere, die uns umgab, war es ein leises Geräusch, aber es ließ mich ungläubig den Mund aufklappen. Schließlich gelang es mir zu bemerken: »Offenbar ist es mein Los, von Frauen verspottet zu werden.«
»Armer Valentin!« Sie blickte mich beinahe zärtlich an. Das, dachte ich, ist noch Furcht erregender als ihre Behauptung, sie habe auf mich gewartet.
Ich schaute sie streng an. »So. Du bist mir also hierher gefolgt. Aberglaube hält die Bauern von hier fern. Man hat dir meinen Namen genannt. Sei vorsichtig. Allmählich verliere ich die Geduld mit dieser Farce. Was auch immer dein Verhalten bedeuten mag – es hat sich erledigt, sobald du tot bist.«
Ich hielt mein Rapier zur Seite, bereit entweder einen Angreifer von hinten oder die alte Hexe niederzuhauen.
»Du hast noch nie eine alte Frau getötet, Valentin, und jetzt wirst du nicht damit beginnen.«
Ich schaute mich in der kleinen, von der Laterne erhellten Nebenhöhle um. Lanier, Fludd … Beide hatten sie keinen Grund, mich hier aufzuhalten. Cecil?
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