1610 01 - Der letzte Alchimist
Taverne am Ende meiner Straße getrunken und habe niemandem gesagt warum. Es ist eine meiner schwersten Berechnungen – an diesem Tag, vierzig Jahre von heute an, wird mein Volk seinen König auf einen Sockel erheben und ihm den Kopf abschlagen. Es wird der erste König sein, den der Pöbel tötet, und dessen Hinrichtung man als gerecht betrachten wird.
Andere Dinge werden unweigerlich folgen; weitere Könige werden ihr Leben lassen. Schlussendlich werden alle Könige getötet sein und nur noch Despoten herrschen – Kriegsherren und Verbrecher, die sich als Staatsmänner verkleiden. Sie werden drei der größten Grausamkeiten der Welt auf uns herabbeschwören, Anblicke und Träume, die selbst den armen Nostradamus werden innehalten lassen. Und es wird noch Schlimmeres folgen. Und das alles aus diesem einen Samenkorn: der gerechten Exekution des englischen Königs.
Daher muss es einen anderen König geben. Einen König, den sie nicht töten werden. Einen gerechten Mann, einen gemäßigten Mann, einen Mann von Prinzipien.
Und mir – mir Unglücklichem! – bleiben nur die Stuarts, mit denen ich tun muss, was ich tun kann.
Als ich in Barkleys Inn getrunken habe, habe ich gelächelt, und niemand hat verstanden warum. Ich dachte, dass es noch schlimmer hätte kommen können: Wenn mir das französische Königshaus der Valois gegeben worden wäre.
30. Januar 1608 (9. Februar 1609 nach gregorianischem Kalender)
Neue Berechnungen. Ein neuer Faktor in diesem späten Stadium? Wie kann das sein? Und doch habe ich mich entweder vollkommen verrechnet, oder eine neue Figur hat die Bühne betreten! Ich verstehe es nicht.
2. Februar 1608 (12. Februar 1609 nach gregorianischem Kalender)
Maria Lichtmess. Tod der Unschuldigen. Ja, ich beiße mir auf die Lippe, bis sie blutet, und nehme an der Messe in St Paul's teil. Wie Herodes werde ich die Unschuldigen töten. Doch im Gegensatz zu Herodes hoffe ich, noch mehr dadurch zu retten.
Ich habe im Schatten eines der Grabmäler geweint. Der Stein war so kalt unter meinen Knien. Der Tod kommt zu allen, der Tod ist das Ende. Mir bleibt nur so wenig Zeit, um zu tun, was ich tun kann, bevor auch ich sterben werde.
Es ist kein Vorteil zu wissen, dass man an einem bestimmten Datum sterben muss. Mir bleiben vielleicht zwei Jahre, wenn es wirklich übel kommt. Vierzehn, wenn es mir gelingt, den richtigen König auf den Thron zu setzen. Das muss doch reichen, oder? Ihn zu schützen, ihn zu führen, seinen Geist auf das wahre Königtum vorzubereiten – Verwalter seines Volkes, wie sein Name impliziert.
Wie auch immer, mehr kann ich nicht erwarten. Entweder sterbe ich im Dezember 1611 oder im Mai 1623. Ich bin noch nicht einmal fünfunddreißig Jahre alt. Mein Leib zittert wie im Fieber, wenn ich daran denke.
Es wäre ungerecht, den Fluss der Zeit umlenken zu wollen, um mir ein längeres Leben zu verschaffen. Ich werde diese Berechnungen nicht – ich wiederhole, nicht – anstellen.
Würde ich der Alten Religion angehören, könnte ich zur Beichte gehen. Jeder Priester würde mich für einen Wahnsinnigen halten, aber wenigstens könnte ich beichten.
Anmerkung für mich selbst: diese Einsamkeit und das Verlangen nach Austausch einer anderen Seele stellen die größten Gefahren für diese Arbeit dar. Wenn der Inhalt dieses Tagebuchs schon nicht weise ist, so ist es doch weise, es zu führen. Ich muss lernen, einsam zu sein.
4. Februar 1608 (14. Februar 1609 nach gregorianischem Kalender)
Weitere Berechnungen. Ja, es gibt eine neue Figur, auch wenn ich nicht sehen kann, was er tun wird. Vielleicht heißt das, dass sein Schiff sinken und er sterben wird. Die Zeit zeigt mir diese Sackgassen. Unwahrscheinlichkeiten. Schicksalsstränge, die niemals sein werden. In jedem Fall kann ich nichts weiter tun, bevor er nicht tiefer in mein Einflussgebiet vorgedrungen ist. Bisher habe ich noch nie einen Mann so weit kommen sehen.
Die Frau wird ihr Heim inzwischen verlassen haben.
Jülich-Kleve gerät mehr und mehr in eine Krise. Es gibt Truppenbewegungen in Savoyen. Ich habe nicht damit gerechnet, dass man meinen Mann schicken würde, um sie zu beaufsichtigen – das war eher unwahrscheinlich –, und doch ist es so. Und es besteht eine noch geringere Wahrscheinlichkeit, dass er dort zu Tode kommen wird. Aber falls doch, was soll ich dann tun? Irgendetwas, das ist klar, aber was?
Die Zeit ist ein Ozean, größer als der Atlantik, und ich bin ein Mensch, der versucht, die Gezeiten zu beherrschen.
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