1610 01 - Der letzte Alchimist
wirklich guten Duellanten geraten …
Robert Fludd blickte zu mir auf.
»Ich bin mit meinen Händen nicht sonderlich geschickt, Monsieur Rochefort. Ihr seht das. Aber ich werde Euch Euer deutsches Rapier geben, und Ihr könnt versuchen, Euch an mir vorbeizukämpfen. Solltet Ihr gewinnen, wird Euch niemand aufhalten.«
Rochefort: Memoiren
Zwölf
»Das habe ich schon öfter gehört«, murmelte ich – aber nicht zu laut, damit er es sich nicht noch einmal anders überlegte und mir mein Schwert verweigerte.
Ohne Zweifel hielt er sich selbst für gut ausgebildet. Vielleicht war er sogar tatsächlich einer der hiesigen Champions und täuschte seine Unbeholfenheit nur vor. Und er hatte seine Männer dabei. Aber das macht auch keinen Unterschied, sinnierte ich. Ich brauche ihn ja nur anzusehen. Und ich bin Rochefort.
Wenn er jedoch nicht kämpfen konnte, hatte er mit Sicherheit ein As im Ärmel. Pistolen vermutlich. Aber ich würde nicht lange genug warten, das herauszufinden.
Fludd winkte. Die drei Mathematiker traten zurück und weg vom Tor. Ich öffnete den Mund, um etwas dazu zu bemerken; da nahmen die beiden jungen Männer den Balken vom Tor und öffneten es weit. Die Frau hatte die Arme vor dem Mieder verschränkt und warf mir einen Blick zu, den ich nicht zu deuten vermochte. Dann ging sie langsam zu dem Mann mit Namen Hariot, und ihr Rocksaum schleifte über das Gras.
»Ihr müsst wissen, dass ich alles voraussehe.« Doktor Fludd sprach wie ein Schauspieler zu mir und seinem kleinen Publikum. Die Sonne strahlte von oben. Der Mai war in England seltsamerweise wärmer, als ich ihn in Frankreich erlebt hatte, und ich war dankbar dafür, dass meine breite Hutkrempe die Augen beschattete: Ein Mann will nicht geblendet werden, wenn er ein Schwert in der Hand hält. Ich roch das Gras und den Tau darauf, und ich hörte das Summen der Bienen.
Es gibt einfach zu viel von ›allem‹, als dass ein Mann es vorhersagen könnte.
Kämpf dich durch Fludd, töte den dunklen John, falls nötig, und dann ab durchs Tor und weg, beschloss ich. Ich stand da und wartete, während Aemilia Lanier mein Rapier und mein Wehrgehänge von Master Hues entgegennahm und sie mir brachte. Da es sich hier um Gentlemen handelte, nahmen sie wohl an, dass ich keine Frau angreifen würde, und da ich mir keinen Vorteil davon erwartete, tat ich es auch nicht.
Ich legte das Wehrgehänge an und zog es fest. Bei Gelegenheit musste es einmal neu gerichtet werden. In einem Umkreis von fünf Schritt zu mir befand sich niemand. Jeder Teil meines Körpers spannte sich, und ich war für jeden Trick bereit, was auch immer hier geschehen mochte – ich zog das sächsische Rapier.
Das Gefühl des festen Hefts in meiner Hand war ein schier unglaublicher Trost.
Nicht durch das Tor, änderte ich meine Entscheidung. Von hier kann ich nicht sehen, was sich auf der anderen Seite befindet, und es ist einfach zu einladend. Über die Mauer, dort an der Seite, womit sie nicht rechnen …
»Ich sehe alles voraus«, wiederholte Robert Fludd, den Blick auf mich fixiert. »Ihr kennt das nicht, Monsieur, und Ihr wisst auch nicht, was für eine Last das ist. Sagt mir, Monsieur: Was nutzt es mich zu wissen, dass in einem halben Jahrtausend von nun an der Strand der Normandie, wo ihr das Schiff bestiegen habt, mit dem Blut Tausender Männer besudelt sein wird?«
Ich zuckte nicht zusammen. Die Normandie. Hat er etwa mit dem Kapitän der St Willibrod gesprochen? Mal abgesehen von diesem Unsinn über die Zukunft, dieser Mann ist für meinen Geschmack viel zu gut informiert …
Fludds Blick blieb fest. »Seht Ihr, ich weiß, welch schreckliche Jahre kommen werden, sollte James auf dem Thron bleiben. Ich weiß, dass Bürgerkrieg mein Land heimsuchen wird … und dieser Mob, der sich Parlament nennt, wird eine Katastrophe für England und für die ganze Welt sein. Ich weiß, dass unsere einzige Hoffnung darin besteht, dass James' Sohn Heinrich möglichst früh die Regierung übernimmt.«
Ironisch warf ich ein: »Angeleitet von solch weisen Mentoren wie Doktor Fludd?«
Er zuckte zusammen. Das überraschte mich.
»Das wird jeder sagen, nehme ich an.« Entschlossen hob er das Kinn. »Wenn die verstorbene Königin von England auf Doktor Dee gehört hätte, Monsieur, würden wir jetzt nicht in so schrecklichen Zeiten leben. Es gab nur einen John Dee. Und es gibt nur einen Robert Fludd.«
»Und in Kürze wird es einen weniger geben«, murmelte ich, machte ohne Vorwarnung einen
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