1610 01 - Der letzte Alchimist
Thron setzen und eine Gesellschaft des Friedens und des Fleißes aufbauen. Dann können wir daran arbeiten, uns den Kometen zu ersparen. Wahrlich, Monsieur, es gefällt mir genauso wenig wie Euch, dass wir König James Stuart ermorden müssen. Aber wenn wir es nicht tun, wird ihm in weniger als zwanzig Jahren sein Sohn Charles auf den Thron folgen, und das würde den Beginn eines schier endlosen Bürgerkriegs bedeuten.«
Die Frau mit Namen Lanier sagte in entschuldigendem Tonfall: »Ich mag es nicht ›Mord‹ nennen. Doktor Fludd, es ist ein gerechter Tod zum Wohle des Landes. Wie Yael, die Sisera mit einem Zeltpflock erschlagen hat.«
Ich glaubte, einen missbilligenden Unterton in Aemilia Laniers Stimme zu hören. Yael war eine Frau, wenn ich mich recht an das Alte Testament erinnerte. Ich sah, dass es ihren Gefährten nicht gefiel, dass Aemilia Lanier sich derart in den Vordergrund drängte. Fludd brauchte keine Mörder von außerhalb, schien sie sagen zu wollen; er hatte mindestens eine Freiwillige. Und so …
»Warum ich, Monsieur?«, fragte ich so gleichmütig, wie es mir einem Mann gegenüber möglich war, der mir in die Eier getreten hatte. Dass seine Schwerthand sich vor meiner bewegen konnte, verdrängte ich für den Moment.
Die drei älteren Mitglieder dieser ›Verschwörung der Mathematiker‹ schickten sich an, gleichzeitig zu sprechen. Fludd hob die Hand, um ihnen Schweigen zu gebieten. Dann wischte er sich die Stirn mit einem sauberen Taschentuch ab.
»Weil ich es so berechnet habe, Monsieur Rochefort, und … und Ihr seid der einzige Mann, der Erfolg haben kann.«
Schweigen breitete sich über den Garten aus.
»Warum hätte ich Euch sonst suchen sollen?«
Weil Ihr verrückt seid!, dachte ich, sagte es aber nicht. Mein Arm brannte, wo er mir die Schwertspitze einen halben Zoll ins Fleisch gebohrt hatte. Der Schmerz überlagerte sogar den in meinem Gemächt. Zusammen mit der Erinnerung daran, wie falsch seine Bewegungen waren, musste ich nun auch mit dem schmerzhaften Wissen leben, dass er mir diese Wunde mit Leichtigkeit zugefügt hatte.
Und wie leicht er mich hätte töten können, so verrückt, wie er ist …
»Hier.« Er drückte mir wieder die Börse in die Hand. Ich nahm sie entgegen. Zum Glück war ich es gewohnt, mir meine Gedanken nicht anmerken zu lassen.
»König James muss sterben und zwar so schnell wie möglich, nachdem sein Sohn Heinrich zum Prinzen von Wales ernannt worden ist. Ferner würde ich es vorziehen, wenn auch seine anderen Kinder überleben würden, Elisabeth und Charles: deshalb keine Petarden wie bei der Pulververschwörung. Prinz Heinrich muss leben und herrschen. Wir werden Euch wiedersehen, sobald Ihr den Ort ausgewählt habt.«
Der Mann, den Fludd John nannte, schob das schwere Eichentor noch ein Stück weiter auf und trat zurück. Ich blickte hinaus. Hinter dem Tor befand sich ein kleiner Hof, der an einer gewöhnlichen Straße lag. Der festgetretene Dreck war gelb, und die umliegenden Häuser hatte man irgendwann während der Regierungszeit der verstorbenen Königin mit Kalk verputzt. Für Southwark war das eine recht respektable Gegend.
Wenn ich aus dem Tor trete, dachte ich, werde ich dann den Dolch eines gedungenen Mörders zwischen den Rippen spüren oder die Hand eines Büttels auf meiner Schulter?
»Ihr braucht mir nicht zu sagen, wann und wo wir uns treffen werden«, wiederholte Fludd und strich die Robe glatt, die er inzwischen wieder angezogen hatte. »Ich weiß, wann das sein wird. Bald.«
Er blickte zu mir hoch und kniff die Augen zum Schutz vor der Sonne zusammen.
»Und wenn Ihr Euch mit Tanaka Saburo und Mademoiselle de la Roncière treffen wollt … Ihr werdet sie auf dem Friedhof finden.«
Rochefort: Memoiren
Dreizehn
Als ich durch die leere Southwarkstraße davonging, vermisste ich plötzlich die Gesellschaft von Gabriel Santon.
Vielleicht lag es daran, dass ein Gentleman zu dieser Zeit und an diesem Ort einfach einen Diener haben sollte, um ihm seine Wunden zu verbinden und seine Kleider zu flicken – und um mit ihm über die Weisheit bestimmter Entscheidungen zu debattieren.
Aber Gabriel war entweder von Maria di Medici gefangen genommen worden und saß mit dem Duc de Sully im Verlies, oder aber er war vernünftigerweise aufs Land geflohen. Ich hoffte auf Letzteres. Und es gab keine vertrauenswürdigen Agenten hier in London, die ich hätte aufsuchen können.
Ich hob den Kopf und ließ mir den Frühlingswind ins Gesicht wehen.
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