1610 Teil 1 - Der letzte Alchimist
Er ist noch ein Kind.
»Ich will nicht aufgehalten und befragt werden«, sagte ich Lassels. Lassels Gesichtsausdruck sagte mir, dass er akzeptierte, dass der Spion des Herzogs nicht in seinen Angelegenheiten behindert werden wollte. In verschwörerischem Ton fragte ich: »Ist die Straße nach Paris frei? Du musst diese Briefe nehmen. Ein Kurier des Intendanten kommt vielleicht einfacher durch als ich.«
Lassels nahm zwei der drei Kopien mit sichtlichem Widerwillen entgegen. Ich fügte hinzu: »Komm schon. Hast du nicht etwas Geld, Lassels? Ich werde dafür sorgen, dass der Herzog es dir zurückzahlt.«
Er biss sich auf die Lippe und kaute auf seinem blonden Schnurrbart, der nicht dicker war als ein Faden. Er schüttelte den Kopf und wandte den Blick ab. In einer Zeit der Angst halten Männer an dem fest, was sie haben. Der König war tot, und Sullys Einfluss ließ bereits nach.
Ich unterdrückte meine Ungeduld und meine Sorge um Geld. Dann drückte ich meinen Ring in das geschmolzene Wachs, um die letzte Kopie zu versiegeln und stand auf. »Hier. Wenn du mir nicht mehr sagen kannst, werde ich jetzt gehen.«
»Die Proklamation …« Er zögerte.
»Was ist damit?«
»Das Parlament unterstützt Königin Maria. Sie haben verkünden lassen, dass sie ihren Willen erfüllen werden, egal was es ist. Sie hat die Proklamation mit ›Königin und Regentin‹ unterzeichnet.«
Ich verabschiedete mich von Lassels und stieg die Stufen des Rathauses auf den Marktplatz hinab. Dort bezahlte ich den Jungen, der die Pferde gehalten hatte, mit einer meiner letzten Dublonen und nahm die Zügel. Ich führte die beiden Tiere über den überfüllten Platz.
Ein Spion ist keinesfalls beliebt. Wäre es anders, hätte ich ein paar Männer gekannt, die sich vielleicht für mich eingesetzt hätten – Sullys hugenottische Brüder: Jeannin, der Ratspräsident; de Lorne, der Arzt des Königs; President de Vic, Generalprokurator Lullier und noch andere Höflinge. Ich brauchte machtvolle Unterstützung, wenn ich meine Geschichte gegen Maria di Medici aufrechterhalten wollte; ich selbst bin nicht gerade der unschuldigste Mann der Welt. Wie es aussah, hatte ich jedoch genauso wenig eine mächtige Fraktion auf meiner Seite wie … nun, wie dieser junge Duellant Dariole.
Als ich neben Dariole trat, der immer noch den Gouverneur und seine Arkebusiere beobachtete, meldete sich mein Gewissen. »Reitet nicht weiter mit mir, Messire.«
Das war bemerkenswert unklug. Er war eine weitere Stimme, die Sully schaden konnte. Ich hätte dafür sorgen sollen, dass er verschwand, vorzugsweise tot.
Er drehte sich zu mir um und schaute mich fröhlich an. »Aber ich verlasse Frankreich mit Euch. Auf eines kann ich mich nämlich verlassen: Wenn die Ratten das sinkende Schiff verlassen, wird Messire Rochefort die Ratte sein, die schwimmen kann!«
Es war offensichtlich, dass er seinen Mund öffnete, ohne nachzudenken. Hätte ich einen Mann so misshandelt wie er mich – mein Gesicht brannte ob der Erinnerung daran –, dann wäre ich nicht so begierig darauf, in der Gesellschaft dieses Mannes zu reisen. Oder ihn überhaupt am Leben zu lassen.
Er glaubt, wenn ich ihn nicht mit einem Schwert angreife, könne ich ihn auf keine andere Art verletzen. Und er glaubt, ich sei geschlagen.
Ich hielt die Zügel in der rechten Hand und legte die linke auf den Knauf des langen, sächsischen Rapiers, das ich trug. Vierzig Zoll blanker Stahl, breit wie der Daumen eines Mannes. Lang genug für ein Duell und kurz genug, um auch im Schlachtgetümmel gezogen zu werden. Im Stall mochte es mir vielleicht keine guten Dienste erwiesen haben, aber es war bei weitem nicht meine einzige Waffe.
Dariole nickte in Richtung der Proklamation, die ein paar Schritt entfernt an das Marktkreuz genagelt war. Seine Stimme war leise, aber fröhlich. »Lest das mal, Messire. Es gibt ein Kopfgeld für jeden, der irgendetwas mit dem Attentat zu tun hat. Ihr seid Geld wert , Rochefort.«
Ich warf ihm einen bösartigen Blick zu und wünschte mir, ich hätte es mir leisten können, den jungen Dariole an den Gouverneur auszuliefern. Es wäre spannend gewesen zu sehen, wie er diesem erklärte, warum er sich um diese Zeit achtzehn Meilen von Paris entfernt befand und immer noch auf der Flucht war. Man könnte ihm alles Mögliche in die Schuhe schieben. Die Belohnung für ihn hätte vielleicht meine Geldprobleme gelöst. Tatsächlich hatte ich Paris nur mit knapp zweihundert Dublonen und dem
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