1610 Teil 1 - Der letzte Alchimist
dass ihm nichts passieren kann, wird er nicht herauskommen. Und? Wird ihm nichts passieren?«
»Das wollen wir doch hoffen«, und ich fühlte mich so düster, wie es klang.
Die späte Nachmittagssonne warf ihr Licht auf Poissy und die kleinen weißen Steine, mit denen die Hauptstraße gepflastert war, die über den Platz und geradewegs nach Nordosten führte. Selbst hier waren die Straßen voller Menschen: Advokaten, Bauern, Soldaten, zu Fuß oder zu Pferd, und alle wollten sie die Neuigkeiten aus den Provinzen hören. Licht flackerte zwischen den Pappeln hindurch, die den Weg zum Tor säumten, und Licht schien durch die Staubwolken, die von den Füßen der Menschen aufgewirbelt wurden. Der Große Heinrich ist tot. Es würde eine Woche dauern, bis die Nachricht sich von einem Ende des Landes zum anderen verbreitet hatte.
Und Männer würden in die Niederlande, nach Spanien und zum Papst reiten; Männer in den Diensten anderer Spionagemeister, die darüber grübeln würden, wie dieser Tod das Machtgleichgewicht in Europa durcheinander brachte. Was würde nun mit Frankreich geschehen?
Ich schärfte die Feder, die Lassels mir gebracht hatte, tauchte sie in die Tinte und beendete meinen dritten verschlüsselten Brief an den Herzog, meinen Herren. In jedem einzelnen Schreiben standen alle mir bekannten Details, was Maignans Entführung betraf, woraus ich dann eine Liste von Männern zusammenstellte, die als Verräter in Frage kamen.
Ich kann nicht auf eine Empfangsbestätigung hoffen, und deshalb muss ich mehr Nachrichten schicken, als ein Verräter abfangen kann.
»Der Gouverneur«, fügte Lassels besorgt hinzu. »Messire le Intendant sagt, der Gouverneur lasse alle Stadttore schließen und habe sämtliche Truppen im Umland mobilisiert für den Fall, dass die Spanier uns angreifen sollten. Glaubst du, dass es zu einer spanischen Invasion kommen wird, Rochefort?«
Gedankenverloren antwortete ich etwas, was überzeugend klang. »An der Grenze zu den spanischen Niederlanden stehen viel zu viele französische Kanonen und Männer, als dass so etwas geschehen könnte. Sie können uns genauso gut verteidigen, wie sie auf Jülich und Kleve zu marschieren könnten.«
»Ja. Ja, Gott sei Dank!«
»Du darfst ruhig die Börse des Intendanten öffnen, während ich in der Nähe bin«, sagte ich mit einem Grinsen. »Ich habe nur ein paar Dublonen dabei, und damit allein kann ich dem Herzog nicht helfen.«
Lassels errötete. »Aber, Rochefort, das geht nicht. Er hat seine Börse mitgenommen. Er, der Gouverneur und der Bürgermeister sind im Haus des Gouverneurs. Sie planen die Niederschlagung eines Aufstands lokaler Protestanten …«
»Es gibt einen Aufstand in Poissy?«
»Nein!« Lassels klang frustriert. Er war ein kleiner, dünner Mann, und er trug kein Schwert. Trotzdem war ein Leuchten in seinem Gesicht erschienen, als er von einem protestantischen Aufstand gesprochen hatte. Es verschwand jedoch rasch wieder. »Sie bereiten sich nur auf den Fall der Fälle vor. Gütiger Gott … Wenn man jetzt den Hugenotten die Schuld für Heinrichs Tod geben würde, würde das eine zweite Bartholomäusnacht bedeuten!«
Es ist seltsam, wie machtvoll diese Erinnerung noch immer in den Köpfen der Menschen ist. Ich wurde ungefähr zu der Zeit geboren, als der Valois-König Karl IX. zugesehen hat, wie seine katholischen Untertanen Coligny und mit ihm alle protestantischen Einwohner von Paris abgeschlachtet haben, und auch ich hatte manchmal das Gefühl, als hätte ich das miterlebt.
»Du musst Messire le Intendant nach Geld fragen.«
»Das kann ich nicht!« Lassels Gesicht nahm die Farbe von alter Käserinde an. »Er wird jetzt erst einmal gar nichts tun, noch nicht einmal für dich, Rochefort. Er hat Angst. Schau! Wer weiß schon, was jetzt passiert?«
Lassels deutete auf Männer mit Piken und Arkebusen, die sich auf dem Marktplatz sammelten, darunter ein prachtvoll gekleideter Mann, der sie herumscheuchte – offenbar der Gouverneur. Der Verkehr auf der Straße kam wegen ihnen nicht zum Erliegen, doch es würde nicht lange dauern, bis die Tore geschlossen waren.
Und da ist Monsieur Dariole, dachte ich und schaute wieder durch trübe Bleiglasfenster zu ihm. Ich konnte deutlich sehen, wie er die Aktionen der Miliz mit vermeintlich professionellem Blick beobachtete. Wenn er ein Gespräch mit den Soldaten anfängt. Wenn er es für lustig hält, ihnen Monsieur Rochefort auszuliefern … Er hat keine Ahnung, wie ernst das alles ist.
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