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1610 Teil 1 - Der letzte Alchimist

1610 Teil 1 - Der letzte Alchimist

Titel: 1610 Teil 1 - Der letzte Alchimist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Gentle
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und warum?
    Unendlich vorsichtig glitt ich aus der alten Wolldecke heraus. Mein Herz dröhnte laut in meinen Ohren. Einer der anderen Männer schnarchte, wachte aber nicht auf. Ich stand auf, und der Boden fühlte sich eiskalt unter meinen Füßen an. Es war die graue Stunde vor Tagesanbruch. Die Schankmaid war schon wach. Ich hörte sie unten rumoren.
    Unter dem Vorwand, nicht schlafen zu können, ging ich in den Schankraum hinunter und verlangte nach Bier und Haferbrei. Etwas anderes gab es ohnehin nicht. Die Schankmaid rieb ihren vollen Busen an meiner Schulter, als sie mir servierte, und ich schnaufte und dachte, dass sie kurz davor stand, weit mehr zu bekommen, als sie sich vorstellen konnte. Ich hätte sie einfach auf den Tisch werfen und sie mir nehmen können. Der Gedanke befriedigte mich jedoch nicht, und so machte ich kein Angebot. Die Syphilis ist eine teure Strafe für das Vergessen.
    Ein Mann sollte klugerweise nicht die Mägde armseliger Gasthöfe ficken, und so ging ich nach dem Frühstück hinaus, um zu sehen, ob wenigstens meine beiden Andalusier etwas Besseres zu essen bekommen hatten als ich. Tatsächlich war das Pferdefutter von vernünftiger Qualität. Ich machte mich daran, die Tiere zu satteln, hielt dann inne und lehnte mich gegen den Sattel. Der Geruch von Hafer, Stroh, Pferdemist und menschlichem Schweiß brachte die Erinnerung an den Stall in Paris mit derartiger Lebendigkeit wieder zurück, dass ich erneut zutiefst beschämt war und mich quälte.
    Ungeachtet dessen, was er über Heinrich und die Königin vermutete … Wie kann ich nur mit diesem Jüngelchen reisen? Er könnte jedermann jederzeit erzählen, was geschehen war, nachdem er mich mit dem Schwert besiegt hatte. Auch könnte er sich versucht fühlen, es noch einmal zu tun. Es wäre klüger von mir, die Sache noch heute mit meinem Rapier zu regeln. So gut er auch sein mochte, ich war immer noch besser.
    In meinem Geiste hörte ich, was ich in Paris so leidenschaftlich hatte überhören wollen: Ihr wisst, dass ich Euch dazu zwingen kann, vor mir zu knien, nicht wahr?
    Ich riss meine Hand zurück. Gedankenverloren hatte ich in meinem Schritt gefummelt. Auch wenn man pissen muss, kann man morgens einen Steifen haben. Das hat nichts zu bedeuten.
    Ich seufzte. Niemand wird so alt wie ich, ohne zu erkennen, wenn man etwas vor sich selbst versteckt.
    Du bist schlicht davon besessen, tadelte ich mich streng. Früher hatte es bisweilen schon ausgereicht, wenn eine Frau den Kopf gedreht hatte, um solch eine Reaktion bei mir hervorzurufen. Der Anblick wohlgeformter Schenkel, wenn eine Edeldame den Rock hob, um ihr Strumpfband zurechtzurücken. Dann die Jagd, der Fang – und die Lust nahm ihren Lauf und war vergangen. Mehr war das nicht. In einem Monat würde ich mich fragen, was mich überhaupt so erregt hatte.
    Noch vor Ende der Woche werde ich ihn getötet haben, damit er der Königin nicht in die Hände fallen kann.
    Wir ritten zum Nordtor der kleinen Stadt, und auf dem Weg dorthin sah ich ein Profil in der Menge, die zur Frühmesse strömte. In Poissy hatte er einen grauen Mantel getragen, nun trug er einen grünen. Er marschierte in den Nordteil der Stadt.
    Wortlos wendete ich meine Stute und ritt nach Westen.
    Noch vor Ende des Tages bekam der Junge an meiner Seite die Gelegenheit zu sehen, wie Abenteuer im Maisonnenschein bisweilen enden. Wolken sammelten sich. Es wurde immer dunkler, und schließlich schüttete es wie aus Eimern. Als wir schließlich Ivry erreichten – wo mein Herr einst eine Schlacht geschlagen hatte, viel weiter westlich als von mir beabsichtigt –, floss das Wasser in Strömen von meinem spanischen Reisemantel. Monsieur Dariole richtete seinen Hut, sodass das Wasser auf seine Schultern und nicht in seinen Kragen rann.
    Seine hohen Reitstiefel und seine Hose waren vom Wasser dunkel, das Wams unter dem kurzen Mantel verborgen, und die kecke Feder an seinem Hut hing mitleiderregend herab wie ein Rattenschwanz. Wasser tropfte vom Handschutz seines Rapiers. Doch trotz alledem – und sehr zu meiner Verärgerung – lag noch immer das breite, fröhliche Grinsen auf seinem Gesicht.
    Wie es der Zufall wollte, kannte ich einen ruhigen Gasthof am Fluss, wo ich dann und wann logiert hatte, wenn ich in die Bretagne geritten war; ein Gasthof mit einem sehr taktvollen Wirt. Im lauten Prasseln des Regens feilschte ich mit ihm um Schlafplätze im Heuschober über dem Stall. Die wenigen Zimmer waren von ein paar Advokaten,

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