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1610 Teil 1 - Der letzte Alchimist

1610 Teil 1 - Der letzte Alchimist

Titel: 1610 Teil 1 - Der letzte Alchimist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Gentle
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dass sie von meinem Skandal gehört haben könnte. Das war lange vor ihrer Geburt. Und dieser Fremde kommt von so weit her, dass die Ereignisse am französischen Hof vor zwanzig Jahren genauso gut auf dem Mond hätten stattfinden können.
    Dennoch geriet ich ins Schwitzen. Dariole kniff die strahlenden Augen zusammen, und sie schaute mich an wie eine Katze eine fette Maus. Auch wenn ich mich von meinem Temperament habe hinreißen lassen, wird sie sich an meine Worte erinnern.
    »›Brissac‹? Der Marschall hat einen Bastard?«
    Ich zuckte mit den Schultern. Sollte sie das ruhig glauben. Er wäre nicht der erste Marschall von Frankreich, der einen Bastard bei Hofe hatte, und Spott ob meiner Legitimität interessierte mich schon lange nicht mehr.
    »Kann Euch denn gar nichts zu einem Duell bewegen, Rochefort?«
    »Geht die Rue St Denis hinunter und blickt nach oben«, sagte ich kalt zu ihr – zu ›Mademoiselle Dariole‹, ermahnte ich mich, diese Monstrosität von nun an zu nennen. »Ich bin für mehr Tode in Montfaucon als in Duellen verantwortlich. Es ist meine Aufgabe, Bedrohungen für den Duc de Sully zu erkennen. Wie ich diese Probleme dann löse … Ich habe keine Zeit, den Ehrenmann zu spielen!«
    Bei der Erwähnung der Galgen in Montfaucon veränderte sich ihr Gesichtsausdruck. Dort wurden Verräter und Verbrecher aufgehangen, damit die Pariser sie begaffen konnten.
    »Und in Montfaucon werdet Ihr nun auch enden«, schnappte sie, »und Sully vermutlich mit Euch!«
    Ich kniff die Augen zum Schutz vor dem Wind zusammen und blickte über die herankommende Flut zur St Willibrod hinaus. Die Welle der Sorge, die mich überkam, lenkte meine Aufmerksamkeit von dem Mannweib ab. Einen Augenblick lang konnte ich nur denken: Nehmen wir einmal an, ich habe Sully nicht gerettet. Nehmen wir einmal an, der Spion der Königin hat ihn getötet. Nehmen wir einmal an, dass all meine Warnungen zu spät gekommen sind. Nehmen wir einmal an, dass ich den König umsonst habe töten lassen …
    Ich habe aufgrund des puren Zufalls fliehen müssen, dass Monsieur Ravaillac Erfolg gehabt hat. Jetzt bin ich fast weit genug gerannt. Immerhin kann der Zufall nicht alles beherrschen. Ein Mann muss sein Schicksal auch selbst verändern.
    Der Fremde durchbrach das kurze Schweigen mit einem lauten Lachen und sagte: »Ihr und sie, ihr macht euch einen Spaß miteinander, ja?«
    »Einen Spaß«, wiederholte ich grimmig. Ich blickte auf die als Mann verkleidete Frau hinab, als diese wieder den Sand betrat. Es kostete mich nur wenig, sie weiter als den hübschen Jungen zu sehen, der sie war, in ihrem engsitzenden Wams und der Schürze, die sich um ihre Hüfte legte. Sie war ein Bild, wie man es in Büchern sieht: hic mulier , das männliche Weib, oder haec vir , der weibische Mann.
    Ich nehme an, ich hätte dankbar sein müssen – dass sie eine Frau war, erklärte meine Erregung, wenn ich neben ihr schlief. Mein Schwanz war also doch nicht ob eines jungen Mannes steif geworden.
    Und doch ist es so sogar noch schlimmer. Ich verspüre Verlangen nach einem Monster, nach einer Frau, die sich wie ein Mann kleidet.
    Ein erfahrener Fechter muss mit jüngeren Herausforderern rechnen. Aber von einem jüngeren Mann bei Zaton derart gedemütigt zu werden und einen solch hilflosen Hass ihm gegenüber zu entwickeln … Nun, so sehr mein Ruf dadurch auch beschädigt sein mochte, mir blieb zumindest der Trost, dass man es als natürlich betrachten würde. Ältere Duellanten trafen irgendwann stets jemanden, der sie besiegte, und manchmal war das eben ein besonders begabter junger Mann.
    Ich war jedoch von einer Frau geschlagen worden. Bei dem Versuch, mein Rapier wieder in die Scheide zu stecken, ließ ich es fallen. Rasch hob ich es wieder auf, und beim zweiten Versuch hatte ich dann auch Erfolg. Ich stand kurz davor, mich zu übergeben, als die Erkenntnis kam.
    »Wir müssen aufräumen«, sagte ich und sammelte meine Gedanken. »Wir müssen die Leichen raus ins Meer schleifen und ihnen die Börse sowie sämtliche Papiere abnehmen. Die Flut wird es so aussehen lassen, als seien sie Seeleute von dem gesunkenen Schiff. Und du, wasch dich!«
    Ich drehte mich um, ohne sie noch einmal anzusehen, stapfte den Strand hinunter und packte den Kragen des mir am nächsten liegenden Mannes. Es war Maignans Mörder, das Wams blutdurchtränkt. Ich schleifte ihn hinter mir her zum Wasser. Im Vorbeigehen schnappte ich mir noch einen zweiten Mann unter dessen verschwitzter

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