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1610 Teil 1 - Der letzte Alchimist

1610 Teil 1 - Der letzte Alchimist

Titel: 1610 Teil 1 - Der letzte Alchimist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Gentle
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geklungen.
    »Ah … Ich sollte wohl besser sagen, er wird sterben, in drei Tagen. Am siebenundzwanzigsten nach Eurem Kalender; am siebzehnten, wie wir hier rechnen. Er wird sterben, ohne auch nur ein einziges Wort gebeichtet zu haben. Niemand wird je wissen, wer ihm die Möglichkeit eröffnet hat, König Heinrich zu töten.«
    Was zunächst eine überwältigende Erleichterung gewesen war, verwandelte sich in Abscheu. Dass ein Wahrsager und Astrologe, wie sie an den Höfen herumspuken, mich hatte entführen lassen …
    »Und das habt Ihr ohne Zweifel in den Sternen gesehen, habe ich Recht?«, sagte ich und nahm die Gelegenheit war, mir die Position jedes einzelnen Mannes im Umfeld einzuprägen. »Oder mit Hilfe der Ephemeriden ausgerechnet? Oder habt Ihr vielleicht gar in Doktor Dees schwarzen Spiegel geschaut?«
    Der Mann lächelte, was ihn auch nicht besser aussehen ließ. Er war ein wenig hager im Gesicht, und seine Zähne waren nicht sonderlich gut. »Ich habe es in der Tat in den Sternen gesehen. Ich schreibe Horoskope für das Ungeborene – die ungeborene Zukunft.«
    Zu meiner Überraschung hörte ich von den Männern um mich herum ein zustimmendes Raunen.
    Aemilia Lanier meldete sich zu Wort; ich bemerkte sie erst jetzt. »Wir haben ihn genau dort gefunden, wo Ihr gesagt habt, Doktor Fludd.«
    Neben der Frau Lanier standen drei Männer mittleren Alters, die durchaus Ladenbesitzer, Schulmeister oder Kirchendiener der englischen Ketzer hätten sein können. Und neben diesen wiederum sah ich ein paar Männer in den Zwanzigern – nur einer von ihnen, ein dunkelhäutiger Mann, erweckte den Eindruck, als wüsste er mit dem altmodischen Breitschwert an seiner Seite etwas anzufangen. Ich glaube, es war auch der Mann, der mich niedergestreckt hatte, und auch er nickte Doktor Fludd zustimmend zu.
    Fludd sagte: »Ich sehe viel voraus, Monsieur Cossé Brissac.«
    Aha. Er war also kein Astrologe, sondern Spion.
    »Das ist nicht mein Name«, erwiderte ich.
    Und das war er wirklich nicht, oder besser: nicht mehr, seit mein Vater mich zwanzig Jahre zuvor enterbt hatte. Er hatte auch seine Gründe dafür gehabt, und ich hadere deswegen nicht mit ihm.
    »Dann eben ›Rochefort‹, wenn Ihr das vorzieht.« Fludds Augen fixierten mich. Was sich über seinem Leib wölbte, war ausschließlich sein Gewand. In einigen Jahren würde er vielleicht einen Bauchansatz entwickeln, doch nun war er schlicht ein dürrer Gelehrter, der mich an die Bauernpriester erinnerte, welche über das Land ziehen und Ketzerei predigen, bis sie irgendwann auf dem Scheiterhaufen enden.
    Ich nickte zu der Frau in dem blauen Kleid. »›Doktor‹ Fludd hat sie gesagt. Doktor in was?«
    »Ich bin Arzt. Ein Gelehrter der Medizin.« Er lächelte scheinbar offen. »Und, wie Ihr schon richtig vermutet habt, auch ein Astrologe – allerdings von besonderer Art. Ich berechne die Wahrscheinlichkeiten, mit denen ein bestimmtes Ereignis stattfinden wird. Und Ihr seid hier.«
    Verschwörungen gegen Könige gibt es im Überfluss. An jeder Ecke finden sich Verräter und Unzufriedene, und oft bedienen sie sich Astrologen oder schwarzer Hexer.
    Was mich betraf, so war mir die Gesundheit des schottischen Königs von England so ziemlich egal. Aber ein Mann, der mir die Namen ›Ravaillac‹ und ›Cossé Brissac‹ ins Gesicht sagen konnte … Das war ein gefährlicher Mann für mich. Keine Ahnung, wie er an diese Informationen gekommen war, aber ich sollte ihn loswerden.
    Ich bemerkte, dass ich etwas zu empfinden begann, das man als das übliche Überlegenheitsgefühl eines Gewaltmenschen inmitten von Schafen bezeichnen könnte. Normalerweise ist das etwas, was ich zu vermeiden versuche. Nur weil meine Tage mit Verhören, Hinterhalt, Mord und anderen groben Dingen erfüllt sind, heißt das nicht, dass ich nicht an einen genauso harten Mann wie mich nur auf gesellschaftlicher Ebene geraten könnte. Ich hielt den Blick auf Fludd gerichtet für den Fall, dass er solch ein Mann war.
    »Ich bin also nicht hier, weil man mich ausrauben will«, bemerkte ich und nickte den Männern um uns herum zu. »Was genau wollt Ihr von mir?«
    Offensichtlich war diese Äußerung zu selbstbeherrscht für Fludds Geschmack. Er nickte.
    Alle fünf Männer traten vor und umringten mich. Dann packten sie mich an den Ellbogen, und einer von ihnen versetzte mir einen leichten Schlag in die Nieren. Eine Rasierklinge kratzte über die Kettenringe, mit denen mein Wams verstärkt war, und ich

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