1610 Teil 1 - Der letzte Alchimist
James zu töten.«
»Das ist schon versucht worden.« Ich konnte mir einen spöttischen Blick nicht verkneifen. Reumütig rieb ich mir die Eier und sagte: »Wenn Ihr auch so ein Pulververschwörer seid, werde ich nicht die Rolle von Guy Fawkes übernehmen. Mir gefällt das Ende nicht, das er genommen hat.«
»Und das werdet Ihr auch nicht erleiden.«
»Und das wisst Ihr. Wie?«
Mit jedem Herzschlag, der vorüberging, ließ der Schmerz nach, und meine Kraft kehrte wieder zurück. Wut brannte darunter, doch die hielt ich im Zaum. Inzwischen hätte ich ihm wieder den dünnen Hals brechen können.
»Ich schreibe Horoskope für die ungeborene Zukunft. Ihr werdet mich nicht töten.« Robert Fludd sprach laut genug, dass jeder ihn gehört haben musste.
»Ist es so offensichtlich, was ich denke?« Für gewöhnlich hatte ich mehr Vertrauen in meine Fähigkeit, meine Gedanken zu verbergen. »Oder liegt es nur daran, dass so etwas zu denken unter den gegebenen Umständen normal ist?«
»Ihr seid kein Anhänger der Kunst.« Er zuckte mit den Schultern. »Ich schaue durch das Fernrohr der Zeit. In der Ferne, ein halbes Jahrtausend von nun an, sehe ich nur schwere Katastrophen. In der Nähe – nah in der Zeit – vermag ich mittels dieser Wissenschaft zu sagen, was jeder Mann getan hat und tun wird.«
Das ganze kam mir wie ein Theaterstück vor, als hätten er und ich uns Masken zur Belustigung dieser Mathematiker und ihrer Gefährten aufgesetzt (falls ›Hues, Hariot und Warner‹ wirklich welche waren). Der dunklere der beiden jüngeren Männer, der mit dem kurzgeschnittenen Bart, beobachtete mich mit zermürbend strahlenden Augen.
»Ihr wisst also, dass ich Euch nicht töten werde. Warum bin hier, Messire?«, fragte ich Fludd und überlegte weiter, wie ich am Besten aus dieser Situation herauskommen konnte. Es war an der Zeit herauszufinden, wer dieser Monsieur Fludd wirklich war.
Töte Fludd, entwaffne die Männer mit den Pistolen, und hol dir deine eigenen Waffen zurück. Töte dann auch noch die anderen, falls nötig …
Fludd sprach. »Ich weiß, dass ich nicht durch Eure Hand sterben werde, Monsieur Rochefort. Ich habe alles genauestens durchgerechnet, und ich weiß es. Der Mann, der uns bei der Ermordung von König James helfen wird, der Mann, der den Schlag führen wird, seid Ihr. Mit meiner Unterstützung und der dieser Männer hier.«
»Durchgerechnet.«
Politische und religiöse Führer sind eine Sache, und Gott weiß, dass ich mich bei mehr als nur einer Gruppe von ihnen eingeschlichen habe, um sie auszuspionieren. Wenn derartige Verschwörungen jedoch mit Astrologie vermischt werden, mit Nekromantie, Prophezeiungen und dergleichen …
»Ihr müsst mir verzeihen«, sagte ich. »Am Hofe des verstorbenen dritten Heinrich habe ich als junger Mann genug davon gehabt.«
Die Mutter dieses Königs, Katharina di Medici, hatte nicht nur einen Haus- und Hofgiftmischer gehabt, sondern auch einen Astrologen sowie diesen unglückseligen Nostradamus. Diese Dinge haben mich noch im Schlaf verfolgt, als ich als Junge an den Hof kam. Seitdem habe ich gelernt, die Zukunft mit etwas mehr Zuversicht zu betrachten.
Die Männer um uns herum blickten einander an.
Diese Bemerkung hatte man von mir erwartet, erkannte ich plötzlich.
»Wir haben Zeit«, sagte Fludd. »Wir haben erst den 14. Mai.«
Wenn irgendetwas bei diesem ganzen Gerede über Prophezeiungen mir einen Schauder über den Rücken jagen konnte, dann das. Wie es der Zufall wollte, war der gregorianische 14. vor genau zehn Tagen, der Tag, an dem Heinrich ermordet wurde.
»Am 5. Juni wird James' ältester Sohn Heinrich zum Prinzen von Wales ernannt. Es ist sein sechzehnter Geburtstag. Er hat seinen eigenen Hof, Monsieur Rochefort«, fügte Fludd hinzu. »Unsere Gruppe will König James tot sehen, damit sein Sohn Heinrich den Thron besteigen kann. Sobald Heinrich der Prince of Wales ist, dürft Ihr den König töten.«
»Oh, darf ich das?« Ich bemühte mich, nicht allzu spöttisch zu klingen. Wenn Maria di Medici Männer anheuern konnte, um ihren Gemahl zu töten, nahm es nicht Wunder, dass diese Engländer glaubten, sie könnten das Gleiche mit ihrem Monarchen versuchen. Diesmal also für ihren Prinzen – falls der denn überhaupt etwas davon weiß!
Ich konnte den Auftrag schlicht akzeptieren und zu den äußeren Gemeinden am Fluss zurückkehren, dachte ich. Dazu musste ich Monsieur Fludd nur ehrlich genug anschauen. Aber die Vorstellung, ganz
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