1610 Teil 1 - Der letzte Alchimist
überstürzt blankgezogen hatte; auf jeden Fall legte ich meine Hand an den Dolch. »Ich stinke nicht!«
»Doch, das tut Ihr, und Dari-oru-sama auch.« Er brach das Brot entzwei und roch an der Kruste. »Das beleidigt eine zivilisierte Nase. In meinem Land essen wir Fleisch nur aus medizinischen Gründen. Etwas Brühe, wenn wir krank sind. Als ich zum ersten Mal Gaijin gesehen habe, habe ich geglaubt, ihr wärt ständig krank, weil ihr so viel Fleisch esst.«
Ein Mann weiter den langen Tisch hinunter lachte. Ich hielt Saburos Worte für lächerlich genug, dass ich glaubte, den Dolch wieder loslassen zu können, ohne meine Ehre zu verlieren. Ich nahm die Gelegenheit jedoch war, mich von den Einheimischen beleidigt zu zeigen und mit Saburo an den am weitesten entfernt gelegenen Tisch zu gehen. Ich wies den Schankburschen an, uns Bier zu bringen. Dem Wenigen nach zu urteilen, was ich in dem allgemeinen Lärm von den Gesprächen der anderen Gäste mitbekam, hielt ich es für sicher zu sprechen.
» Und Ihr wascht Euch nie!« Tanaka Saburo betrachtete den mit Pech abgedichteten Lederbecher wie eine Hofdame eine Laus. »Roshfu-san, ich will hier fertig werden. Diese Stadt ist schmutzig. Ich kann den Gestank nicht ertragen. Er macht mich krank.«
»London dreht auch mir den Magen ein wenig um«, räumte ich ein, als ich mich neben den Samurai auf die Bank setzte und das Schwert an meiner Seite zurechtrückte. In einem respektableren Etablissement hätte ich mein sächsisches Rapier ausgezogen und neben die Tür gehängt. Ich bezweifele, dass ich es wiedersehen würde, sollte ich das hier tun. »Auch wenn Paris nicht viel besser ist … Nun, jeder Mann bevorzugt seinen eigenen Gestank. Und jetzt, Messire Saburo …«
»Ihr seid mein Ronin.« Plötzlich lächelte er breit. »Mein shinobi , ne?«
»Euer was?«
» Shinobi-no-momo – geheimer Attentäter!« Als ich ihm widersprechen wollte, wurde er wieder ernst. »Aber Roshfu-san, man hat Euch nun angeheuert, den Mann zu töten, den zu sehen ich gekommen bin.«
»Ich bin nicht angeheuert worden«, erwiderte ich grimmig, »und ich habe nicht die geringste Absicht, mich mit dieser Verschwörung von Narren auseinander zu setzen, dessen könnt Ihr versichert sein! König James' Sekretär kann gerne alle Informationen über Fludd und dessen Mitverschwörer haben, über die ich verfüge, und der Sache ein Ende bereiten.«
Saburo grunzte nachdenklich. »Hidetada hat mich zu diesem König geschickt, nicht in ein Land … ein Land des Krieges, Kriege um die Nachfolge.«
Ich dachte an das Meer im Süden und daran, was jenseits davon lag: Frankreich.
»Wie auch immer«, fügte Saburo hinzu. »Wenn Ihr das doch tun müsst, Roshfu-san, dann rate ich Euch, ihn nur zu verstümmeln. Tötet den König nicht. Blendet ihn, oder verstümmelt ihn auf andere Art und schickt ihn in irgendein Kloster. Auf diese Art könnt Ihr den alten König wieder auf den Thron setzen, wenn sein Sohn sich als Narr erweist.«
Ich trank einen Schluck des dünnen, bitteren Biers – ein Gebräu passend zum englischen Charakter.
»Ich glaube nicht, dass sie in diesem heidnischen Land Klöster haben«, sagte ich, nachdem ich mich wieder gefasst hatte. »Auch kann ich mir nicht vorstellen, dass die Verschwörer ihr Ziel aus irgendeinem Grund am Leben lassen würden. Ich nehme an, in Nihon ist das anders.«
Er nickte. »Man weiß nie, wie ein Mann ist, bevor er nicht Kaiser oder Shogun ist. Deshalb ist es gut eine … Alternative zu haben.«
Es könnte durchaus möglich sein, Maria di Medici in ein Kloster außerhalb Frankreichs zu schicken, dachte ich, falls der Rat der Regenten sich als unwillig erweisen sollte, die Königin hinzurichten. Was mich betrifft, so würde mich ihr Exil freuen, wenn auch nicht so sehr wie ihr Tod.
»In jedem Fall werde ich mich nicht an Fludds Verschwörung beteiligen«, wiederholte ich für den Fall, dass Saburo mich nicht richtig verstanden hatte. »Ich habe … andere Dinge in London zu tun.«
Ich fühlte die übliche Anspannung, die entsteht, wenn man nicht weiß, ob man einem Fremden zur Gänze vertrauen kann, egal wie gut man glaubt, ihn zu kennen. Das ist die Krux des Spions. In solchen Augenblicken habe ich mir schon oft gewünscht, ich könnte den Menschen in die Herzen blicken – oder zumindest ihre zukünftigen Taten sehen.
Wenn ich könnte, was dieser Fludd vorgibt zu tun können …
»Ihr müsst erst tun, was Ihr geschworen habt … Ihr seid mein
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