1611 - Jäger der Nacht
mit Spitzdach, an dessen Mast eine Fahne hing. Das konnte die Kirche sein. So war er sich sicher, dass er auch den Friedhof in der Nähe finden würde.
Das traf zu. Es gab keine Häuser mehr, die ihm den Weg versperrten.
Dafür traf das Licht der Scheinwerfer eine alte Mauer, die an einigen Stellen von Sträuchern überwuchert war. Das musste die Begrenzung des Friedhofs sein.
Er fuhr noch näher heran und stoppte erst, als er nur noch wenige Schritte zu gehen hatte. Er stieg aus. Erneut schlug ihm die kalte Luft entgegen, die beim Einatmen in der Kehle kratzte.
Da die Mauer nicht besonders hoch war, wollte er nicht erst nach einem Eingang suchen. Er überkletterte das Hindernis und sprang auf der anderen Seite zu Boden, wo die Erde steinhart gefroren war.
Der erste Blick über das Gelände.
Es war so gut wie nichts deutlich zu erkennen. Gräber, Grabsteine, die Sträucher oder die anderen Pflanzen, das alles war zu einer grauen Soße geworden, die in einer tiefen Kälte lag. Es gab keine Lichtquelle auf dem Gelände. Wer sich hier in der Nacht bewegte, der musste sich im Dunkeln vortasten.
Stephan hatte keine Ahnung, wo er mit der Suche nach Wandas Grab anfangen sollte. Da der Friedhof nicht zu groß war, würde er wohl bald Glück haben. Zudem trug er eine Lampe bei sich, die er jetzt einschaltete und den hellen Lichtarm nach vorn schickte, wobei er aus den Augenwinkeln die huschende Bewegung eines Tieres sah, das vor der Helligkeit floh.
Er war sich nicht sicher, aber er ging davon aus, dass er eine Katze gesehen hatte. Stephan verzog das Gesicht, denn er dachte an seine erste Begegnung mit dem Tier. Die Katzen hier verhielten sich seltsam.
Normalerweise tauchten sie bei diesem kalten Wetter ab ins Warme.
Das traf auf die Tiere hier nicht zu.
Um den Friedhof abzusuchen, musste er sich erst einen Plan überlegen.
Er wollte zuerst die Gräber an der Mauer untersuchen. Denn er ging davon aus, dass dort die frischen Gräber geschaufelt wurden. Aber auch welche, in denen Menschen begraben wurden, die eines unnatürlichen Todes gestorben waren, und auch Verbrecher wurden an den Innenseiten der Mauern verscharrt.
Ein schmaler Weg führte parallel zur Mauer. Schon bei den ersten Gräbern stellte er fest, dass sie alles andere als gepflegt waren. Wer hier unter die Erde gebracht wurde, hatte niemanden, der sich um sein Grab kümmerte.
Es war still um ihn herum. Die einzigen Laute produzierte er durch seine Schritte auf dem harten Boden. Rechts von ihm lagen die kleinen Gräber, über die das Licht der Lampe glitt. Da gab es keine Kreuze und keine Grabsteine, alles war flach. Manchmal waren die Namen der Toten in die Mauer eingeritzt worden. Aber die meisten der Gräber waren namenlos.
Etwas huschte urplötzlich zwischen seinen Beinen hindurch, und Stephan zuckte zusammen. Es war nur eine schwache Berührung gewesen, aber die Tiere gerieten in das Licht seiner Lampe, aus denen zwei Katzen zur Seite ins Dunkle huschten.
Wieder sie!
Allmählich hatte er den Eindruck, dass die Katzen auch den Friedhof unter ihrer Kontrolle hatten.
Weitere Tiere sah er nicht, und so setzte der Agent seinen Weg fort. Obwohl ihm sichtbar keine Gefahr drohte, waren seine Nerven zum Zerreißen gespannt. Ihm gefiel die Dunkelheit nicht. Sie bot Feinden ein perfektes Versteck, und sein Gefühl, aus dem Hinterhalt belauert zu werden, steigerte sich immer mehr.
Mal raschelte es in seiner Nähe, mal knackte es, aber niemand ließ sich blicken. Die Katzen schienen das Gelände verlassen zu haben, was er allerdings nicht glaubte.
Das Licht glitt weiterhin über die Gräber hinweg. Stephan ging davon aus, dass Wanda in einem frischen Grab liegen musste und genau danach hielt er Ausschau.
Bisher hatte er das Glück noch nicht gehabt, doch das änderte sich schnell. Er sah das Grab, und auch wenn es kein Kreuz oder keinen Stein mit einem Namen gab, war ihm klar, dass er die letzte Ruhestätte von Wanda Petric gefunden hatte.
Er sah eine Katze. Sie hatte sich auf das Grab gehockt und ihm den Kopf zugedreht. Er schaute in funkelnden Augen, und das Tier wirkte wie ein Wachtposten.
Stephan hielt an. Er leuchtete auf das Grab und auch auf das schwarze Fell der Katze. Es war ein neues Grab, dazu brauchte er keinen zweiten Blick. Die Erde war locker angehäuft. Es gab keinen Blumenschmuck, keinen Kranz, den jemand als letzten Gruß darauf gelegt hätte.
Das Gesicht des Mönchs war hart geworden. Wiederum schössen ihm zahlreiche Gedanken
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