1611 - Jäger der Nacht
auch mehr ein Zufall.«
»Schon lange her?«
»Es geht.«
Mara wechselte das Thema. »Hast du auch einen Nachnamen?«
»Ja, ich heiße Kowalski. Warum?«
»Ach, das ist nicht so wichtig. Ich wollte nur herausfinden, ob ich dich kenne.«
»Wieso das?«
»Wanda und ich waren befreundet. Wir haben oft zusammengesessen und uns unterhalten. Sie lebte ja allein. Da tat ihr meine Gesellschaft gut.«
»Dann hat sie mich also nie erwähnt?«
»So ist es.«
»Schade.«
Auch jetzt lächelte der Mönch, aber in seinem Innern sah es anders aus.
Er fühlte sich ausgefragt, auf den Zahn gefühlt, und da er dies wusste, machte er das Spiel mit, aber er wollte es in eine bestimmte Richtung lenken.
»Hast du ihren Tod nicht verhindern können?«
Mara schüttelte bedauernd den Kopf. »Nein, das habe ich leider nicht geschafft. Außerdem war sie nicht mehr jung, wie du selbst weißt, und da ist es…«
Stephan unterbrach sie. »Man hat sie umgebracht, wurde mir gesagt. Und sogar auf eine schlimme Weise, denn irgendjemand biss ihr die Kehle durch.«
Die Frau vor dem Mönch versteifte sich leicht. »Ach ja? Hat man dir das gesagt?«
»Ja.«
»Dann muss es wohl stimmen.«
»Und ich hörte auch, dass man keine Polizei gerufen hat. Bei einem unnatürlichen Todesfall ist das schließlich die Regel.«
»Mag sein.« Mara breitete ihre Arme aus. »Schau dich nur um, Stephan. Was ist hier natürlich? Die Natur - ja, aber wir leben hier einsam. Für uns interessiert sich niemand. Auch die Menschen, die von Deutschland her über die Grenze kommen. Sie fahren eine andere Strecke. Lesna ist vergessen, und so sind wir es gewohnt, unsere Dinge selbst zu regeln.«
»Auch einen Mord?«
»War es das denn? Kann es nicht auch ein Unglück gewesen sein?«
»Das Zerreißen einer Kehle?«
»Ja. Möglich ist alles.«
»Ich kann es nicht glauben. Es war ein Täter. Wer immer Wanda umgebracht hat, er hat sich bestimmt hier ausgekannt, sodass man davon ausgehen muss, dass der Täter hier aus dem Ort stammt und noch immer frei herumläuft.«
»Wenn du das so siehst.«
»Ja, so sehe ich das. Und mir fällt gerade ein, dass ich dich noch nicht gefragt habe, was du hier auf dem Friedhof zu suchen hast.«
»Ich bin gern an der frischen Luft. Da stört mich auch die Kälte nicht und auch nicht die Dunkelheit. Es ist einer meiner normalen Spaziergänge gewesen.«
»So ist das also.«
»Oder dachtest du etwas anderes?«, fragte sie lauernd.
Stephan sah nicht ein, eine Ausrede zu benutzen. »Ich dachte schon, du wolltest die Katzen besuchen, die ja nicht nur hier auf dem Friedhof sehr präsent sind. Oder irre ich mich da?«
»Katzen?« Sie lachte. »Ja, damit liegt du nicht falsch. Du hast sie wohl gesehen?«
»Genau. Im Ort und hier.«
»Und?«
»Eine griff mich an. Eine hockte auf Wanda Petric’ Grab. Sie floh dann.«
»Und?«
»Ist das natürlich?«
»Bei uns schon. Wir lieben Katzen. Wir haben sie nie getötet. Es gibt genug Menschen, die kleine Katzen ertränken, wenn sie geboren werden. So etwas gibt es bei uns nicht. Und so haben sie sich dann vermehren können, das ist alles.«
»Dann verstehe ich es. Und du hast bestimmt auch Katzen.«
»Hin und wieder«, gab sie zu. »Keine eigenen Tiere, aber sie laufen mir oft zu. Dann gebe ich ihnen Futter. Ansonsten führe ich ein völlig normales Leben.«
»Und wie sieht das aus?«
Mara hob einen Finger. »Du darfst zwar alles essen, aber nicht alles wissen. Du bist fremd hier und wirst es auch bleiben. Außerdem stammst du aus einem anderen Land. Es ist schön, dass du Wanda besuchen wolltest, um ihr etwas von ihrer Einsamkeit zu nehmen. Leider ist sie tot, und ich denke, dass deine Aufgabe damit für dich erfüllt ist.«
Stephan hatte jedes Wort gehört und genau begriffen. Diese Mara wollte ihn loswerden und das auf eine ganz raffinierte Weise. Hier hielten alle zusammen und hüteten wahrscheinlich ein schreckliches Geheimnis.
»Ich soll also wieder fahren?«
»Ja, was willst du noch hier? Oder bist du Wandas Erbe? Das sicherlich nicht, denn soviel ich weiß, hat Wanda keine Erben. Ihr Haus gehört jetzt der Allgemeinheit, denke ich.«
»Und das macht ihr alles unter euch aus?«
»Warum nicht?«
Stephan winkte ab. »Schon gut. Ich akzeptiere eure Lebensweise, aber dass ein Mord vertuscht wird, das kann ich nicht hinnehmen. Dagegen muss man etwas tun.«
Er hatte die Sätze bewusst so gewählt und war deshalb auf die Reaktion der Frau sehr gespannt.
Zunächst tat Mara
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