1615 - Allee der Toten
Macht befreit worden wäre.
»Denkst du an die anderen drei Toten, John Sinclair?«
»Ja.«
»Sie hätten nicht kommen dürfen. Sie hätten sich zuvor über das Haus hier erkundigen sollen. Sie sind meiner Macht in die Falle gelaufen, aber ich selbst habe ihnen nicht das Leben genommen. Es waren die Geister, die ein so großes Grauen über sie gebracht haben, dass sie daran zugrunde gingen. Das hier ist kein Ort für Menschen, und daran sollten alle denken, die das Haus betreten.«
»Ich bin auch hier!«, sagte ich.
»Das sehe ich!«
»Also muss auch ich an diesem Grauen zugrunde gehen.« Nach diesem Satz fiel mir auf, dass ich noch immer das Kreuz umklammert hielt. Ich war bereit gewesen, die nächste Geistergestalt anzugreifen. Nur war es dazu nicht mehr gekommen. Würde ich trotzdem noch eine Chance bekommen?
Wenn es zu einer der seltenen Begegnungen zwischen dem absolut Bösen und mir gekommen war, hatte es nie eine normale Trennung gegeben. Es war immer Gewalt mit im Spiel gewesen. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es in diesem Fall anders sein würde.
Noch bewegte sich das Licht nicht, aber seine Ausläufer hatten mich erreicht. Ich spürte den Druck und warf einen Blick auf meinen Talisman.
Er hatte seinen Glanz verloren. Er wirkte matt - bis auf vier Stellen an den Enden. Dort hatten die vier Erzengel ihre Insignien hinterlassen. Vier große Buchstaben. Das M, das G, das R und das U!
Über den Enden lag ein leichter Glanz, und ich erinnerte mich daran, dass ich dieses Phänomen schon einmal erlebt hatte. Es lag noch nicht lange zurück. Das war in den Dolomiten gewesen, wo die wilde Schlacht stattgefunden hatte. Würde es sich jetzt wiederholen?
Ich hörte wieder Luzifers kalte Stimme. Die Worte gaben mir Hoffnung.
»Es ist jetzt nicht an der Zeit, eine Entscheidung zu suchen. Es ist mir zu billig. Was sich da in unsere Kreise einschmuggeln wollte, war uns einfach nur lästig. Und das muss ausgeschaltet werden. Ich überlasse sie dir…«
Konnte ich das glauben? Konnte man Luzifer beim Wort nehmen? Ich zweifelte, aber in den folgenden Sekunden wurde ich eines Besseren belehrt, denn als ich nach vorn zum Ende des Ganges schaute, stellte ich fest, dass dieses blaue Licht schwächer wurde.
Ich wollte es nicht glauben und rechnete mit einer Täuschung. Doch es stimmte tatsächlich. Das Licht verlor seine Intensität, denn das Urböse zog sich zurück. Als ich meine Lampe anhob und nach vorn strahlte, da sah ich, dass das Licht die Wand am Ende des Flurs erreichte und nicht mehr von dieser tiefen Bläue absorbiert wurde.
Die Geistgestalten standen noch an ihren Plätzen. Ich zählte sie nicht durch und dachte daran, dass ich nur von einer zur anderen gehen musste, um sie endgültig zu vernichten.
Oder ich machte es mir einfacher.
Als ich das Kreuz anschaute, hatte es wieder seine normale Farbe erhalten. Auch die Buchstaben waren nicht mehr von einem schwachen Glanz umgeben. Es würde klappen.
Ich stellte mich in die Mitte des Flurs, wo die Geister jeweils die Hälften der beiden Reihen bildeten. Von dem Gedanken, dass sie Menschen waren, hatte ich mich längst gelöst.
Dann sprach ich die Formel.
Und meine Stimme zitterte nicht, als die Worte langsam über meine Lippen flössen. »Terra pestem teneto - salus hie maneto!«
Ich hatte das Kreuz dabei nicht losgelassen, und plötzlich schien es in meiner Hand in einem grellen Licht zu explodieren…
***
Suko stand vor der Tür im Eingangsbereich des Hauses. Und er hatte dabei das Gefühl, auf einer heißen Herdplatte zu stehen, so war ihm zumute. Er wusste, dass die Musik im Haus spielte, traute sich aber nicht, seinen Platz zu verlassen. [1]
Hin und wieder lauschte er in das Haus hinein. Und er hörte Stimmen aus der ersten Etage, wobei er nur seinen Freund John Sinclair erkannte. Die andere Stimme war ihm unbekannt. Sie erzeugte jedoch auf seiner Haut ein Frösteln.
Ging dort alles gut? War John stark genug, seinen Gegner abzuwehren?
Suko konnte es nur hoffen, und jetzt dehnten sich die Sekunden wie Minuten.
Wieder schaute er zum Haus hin und war drauf und dran, seinen Platz zu verlassen.
Da geschah es.
Nicht in seiner Nähe und auch nicht im Bereich des Erdgeschosses, sondern über ihm in der ersten Etage. Der Widerschein eines grellen Lichts strahlte über ihm auf. Suko wusste Bescheid. Es war nicht einfach ein Licht. Es war das Licht, das es kein zweites Mal auf dieser Welt gab und auch nicht von dieser Welt stammte. So hell, so
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