1032 - Baphomets Monster
Dabei wirkte sie in ihrem Aussehen nicht einmal wie eine Katze.
Mehr wie eine Feldmaus mit ihrem langen Umhang und dem knappen Kostüm, das nur die nötigsten Stellen bedeckte. Aber sie trat unter dem Namen Katze auf. Er stammte noch aus früheren Zeiten.
Schon in ihrer Jugend hatte man sie so genannt. Marina stand auf dem Podest. Sie genoß den Wirbel der Trommel, als würden sie ihr eine Botschaft übermitteln. Locker, die Arme angewinkelt, die Hände in die Hüften gestützt, stand sie am Rand und schaute in die Tiefe.
Nichts wies darauf hin, daß sie gesichert war. Es gab keinen Haltegriff, an dem sie sich festklammern konnte, wenn sie in die Tiefe fiel.
Daß sie es tun würde, stand fest.
Die Zuschauer warteten. Wie so oft war auch heute der letzte Platz besetzt. Es war wieder modern, in einen Zirkus zu gehen und Menschen zu beobachten, die ihr Bestes gaben. Dazu gehörte natürlich Marina Caneri, die so locker aussah, als wollte sie im nächsten Moment ein Glas heben und den für sie nicht sichtbaren Zuschauern zuprosten.
Der Trommelwirbel ebbte allmählich ab. Dann steigerte er sich noch einmal, und genau auf dem Höhepunkt stieß sich Marina ab.
Sie sprang.
Und sie sprang in die Tiefe, einfach so, wie eine Selbstmörderin, die ihren Körper auf dem Boden zerschellen lassen wollte.
Nicht wenige Zuschauer sahen das so, und ihre Schreie gellten durch das weite Rund. Marina schien auf deren Echos getragen zu werden, aber ihr Fall wurde nicht gestoppt, bis zu dem Zeitpunkt, als sie plötzlich in eine waagrechte Lage geriet und nach vorn geschleudert wurde, dicht über die Reihen der ersten Zuschauer hinweg.
Sie flog dort wie eine menschliche Rakete, die Arme vorgestreckt, und sie wurde begleitet von den erschreckten Schreien der Gäste, die Marina schon hatten auf dem Boden aufschlagen sehen.
Das war nicht der Fall. Sie flog in einer diagonalen Linie in die Höhe, winkte den Menschen sogar mit einer Hand zu. Der breite Kegel des Scheinwerfers hatte sie nie losgelassen. Er verfolgte sie und ließ sie tatsächlich so aussehen wie eine riesige Fledermaus, denn der Luftzug wirbelte ihren Umhang in die Höhe.
Die Artistin fegte der Kuppel entgegen. Die Arme hielt sie ausgestreckt, sie raste dann hinein ins Dunkel, denn auf dem Weg verlor der Scheinwerfer sie.
Plötzlich war die Katze nicht mehr zu sehen. Aber jeder im Zelt wußte, daß es noch nicht alles gewesen war, die Katze würde auch weiterhin ihre Klasse beweisen.
Zwei, drei Lichtlanzen durchbohrten die Dunkelheit. Sie zuckten wie lange Arme, die sich nicht entscheiden konnten, wohin sie nun tasten sollten, und sie fanden ein Ziel.
Marina Caneri hatte wieder das Dach erreicht. Wie sie es schaffte, sich dort zu bewegen, das konnte niemand so recht sagen. Jedenfalls »klebte« sie unter dem Dach, wobei sie die Arme und die Beine bewegte und sich so vorantastete, ihren Rücken der Tiefe zugewandt.
Sie lief wirklich wie eine Katze unter dem Dach entlang, turnte durch das Gestänge, rutschte ab, raste in die Tiefe, und wieder gellte der vielstimmige Schrei auf.
Marina schlug nicht auf. Sie schwang wie ein Pendel quer durch die Manege, faßte nach einer aus dem Sand ragenden Stange und umfaßte sie wie ein Stabhochspringer sein Gerät.
Es war ihre Schau. Das war ihr Auftritt, und sie wußte auch, daß viele Menschen ihretwegen erschienen waren, um ihre Kunst erleben zu können.
Die Katze würde ihrem Namen auch weiterhin alle Ehre machen, aber die Bilder verschwanden plötzlich vor den Augen der Marina Caneri, denn die Realität hatte sie wieder.
Dafür diese eklige feuchte Geruch. Nach alten Lappen oder vergammelter Kleidung. Dieser Kellergeruch, den sie schon seit Tagen wahrnehmen mußte. Man hatte sie eingesperrt, zuvor gekidnappt und hielt sie jetzt in diesem verdammten Verlies fest.
Dennoch hatte Marina lächeln können. Es war verbunden mit der Erinnerung an die große Zeit im Zirkus. Sie war der Star gewesen.
Mit ihr als Katze hatte man auf den Plakaten geworben, doch diese Zeiten waren oder schienen vorbei zu sein.
Nichts war mehr wie sonst. In ihrem Leben hatte es einen Riß gegeben. Die Fremden waren erschienen und hatten sie geholt. Eines Nachts waren sie in ihren Wagen eingedrungen. Drei finstere Gestalten, keine Einbrecher, denn sie hatten nichts mitgenommen, abgesehen von ihr.
Die Katze hatte sich nicht einmal wehren können. Sie hatte noch das Geräusch der Sprühflasche gehört, als sie sich in ihrem Bett aufrichtete, danach war
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