1623 - Der Zombie-Rabe
er gelangte nach Aibon - wie auch die anderen Tiere. Sie sind tot, aber sie leben trotzdem, weil sie vom Geist des Fegefeuers erfüllt sind. Könnt ihr das nicht begreifen? Ich stand so kurz vor dem Ziel. Oben auf dem Corvatsch, diesem Rabenberg, hat sich das Tor geöffnet. Das war der Weg nach Aibon. Da sind die Beschützer gekommen für mich und meine Nachfolger. Ich habe mich ihnen offenbart, aber sie wollten nicht…«
Seine Stimme versagte. Er atmete tief ein und musste erst mal eine Pause einlegen, in der auch wir nichts taten.
In meinem Kopf formte sich so einiges zusammen. Als einer der wenigen Menschen hatte Fabricius den Weg nach Aibon gefunden. Nicht in den märchenhaften friedlichen Teil, sondern dorthin, wo das Grauen herrschte und der mächtige Guywano das Sagen hatte, den wir bisher noch nicht hatten besiegen können.
Es waren nicht nur die Männer in Grau, die er manchmal schickte, jetzt hatte er auch den Monsterraben entlassen, um diese Welt wieder in Furcht und Schrecken zu versetzen, und er hatte sich in Fabricius einen willfährigen Helfer geschaffen. Der Mann war von dieser Jenseitswelt so beseelt, dass er alles in Kauf nahm.
Ein Zurück gab es für ihn nicht mehr. Das entnahmen wir auch seinen nächsten Worten, denn er hatte sich wieder so weit erholt, dass er sprechen konnte.
»Ich lasse mir von niemandem meinen Weg verbieten«, erklärte er.
»Nein, das lasse ich nicht. Da kann kommen, wer will. Auch ihr werdet es nicht schaffen.«
Wir mussten die Warnung oder Drohung durchaus ernst nehmen. In seinen Worten hatte etwas mitgeschwungen, als stünde so etwas wie ein Finale dicht bevor.
Er war nicht allein. Drei Raben beschützten ihn und schienen nur auf ihren Einsatzbefehl zu warten, der noch nicht erfolgte.
Er hob den Kopf an, um jeden von uns zu spüren.
»Ihr werdet nicht entkommen. Keiner ist stärker als Aibon. Der Helfer ist mir geschickt worden, und ich weiß, dass er mich nicht im Stich lassen wird.«
Mit einem Ruck richtete er sich auf und senkte seine Stimme zu einem Flüstern.
»Ich spüre seine Anwesenheit. Er ist da oder fast da. Er wird euch vernichten, zerhacken, und ich werde dabei zuschauen.«
Ein hartes Lachen drang aus seiner Kehle. Die drei Raben blieben an ihren Plätzen, plusterten sich aber auf, und wir mussten damit rechnen, dass auch sie eingreifen würden, wenn Fabricius es wollte.
Geblufft hatte er nicht, das stand für uns fest. Er wollte klare Verhältnisse schaffen, und die fingen aus seiner Sicht jetzt an. Nur spielte sich das Geschehen nicht hier in der Hütte ab, sondern draußen, und wir bekamen es auch nur mit, weil wir die Tür nicht geschlossen hatten.
So hörten wir die Schreie!
Harry fasste sich als Erster.
»Das war Urs oder…«
Er wollte zur Tür rennen, doch Suko war schneller. Eine gedankenschnelle Bewegung, und er hielt ihn fest.
»Nein, das erledige ich.«
Suko hatte die Tür mit einem Sprung erreicht und riss sie auf.
Was er sah, ließ seine Augen groß werden.
Der Riesenvogel hockte bereits auf dem Boden vor der Hütte und starrte ihn an…
***
Wenig später schaute er auch in mein Gesicht, da hatte ich meinen Freund erreicht.
Ich sah nicht nur den Zombie-Raben. Weiter unten an der Straße standen Urs und Mario. Sie winkten mit beiden Armen. Sie waren es, die uns mit ihren Schreien aufmerksam gemacht hatten.
Auch Harry war Suko und mir gefolgt und lugte an uns vorbei, »Das ist verrückt«, flüsterte Harry. »Er ist tatsächlich gekommen. Ich kann es noch immer nicht fassen.«
Wir ließen ihn reden. Für uns gab es kein Herumtändeln mehr. Wir mussten ihn stellen und ihm den Kampf aufzwingen.
Ich dachte an meine Beretta, denn das Kreuz konnte ich in diesem Fall vergessen, wenn es um ein Aibon-Monster ging.
Ich griff nach meiner Pistole, aber Suko war dagegen.
»Nicht, John, den hole ich mir.«
»Und wie?«
Seine Lippen verzogen sich, als er sagte: »Ich wollte schon immer auf einem Vogel reiten. Genau diesen Traum werde ich mir jetzt erfüllen. Ich steige auf seinen Rücken. Was ein Fabricius kann, das schaffe ich schon lange.«
Für zwei, drei Sekunden hielt ich den Atem an. Ich wollte noch nachfragen, aber das hatte keinen Sinn mehr, denn Suko war bereits unterwegs und ging auf den Zombie-Raben zu.
Ich kannte ihn. Er würde sich nicht zurückhalten lassen. Aber ob er wirklich auf den Rücken des Raben klettern wollte, daran konnte ich nicht glauben. Er würde sich in höchste Lebensgefahr bringen, wenn das Tier
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