164 - Der vielarmige Tod
einer aus dem Fenster. Er trug einen roten Turban und ein weißes Flatterhemd. Zwei weitere standen in der Tür einer Hütte und gafften. Hatten sie hier nichts zu sagen?
Aruula begutachtete die Frauen näher. Die örtliche Mode gefiel ihr: rot karierte Röckchen, die bis zum halben Oberschenkel reichten, dazu ein breiter Schultergürtel, an dem ein halbes Dutzend langer Klingen hing. Und Lederstiefel – vermutlich wegen der Skorpione und Schlangen.
Eine Frau löste sich aus der Gruppe und baute sich vor Aruula auf. Sie hatte unglaublich schwarze Augen und eine ebensolche Mähne. Sie hätte Aruulas Schwester sein können.
Ihre Haut war allerdings dunkler.
Sie sagte etwas, aber Aruula verstand kein Wort. Die Stimme klang melodisch. Die Frau von den Dreizehn Inseln überlegte kurz, ob sie ihre Gabe des Lauschens einsetzen sollte, um zu erfahren, was ihr bevorstand. Aber dazu hätte sie sich konzentrieren müssen, und außerdem besaß sie ja Menschenkenntnis. Und die sagte ihr, dass ihr die Frau nicht feindlich gesonnen war.
»Aruula…« Sie deutete auf ihren Brustkorb.
»Oh«, sagte die Frau entzückt. »Indiira!« Sie ließ den Knüppel fallen, legte ihre Hände auf Aruulas Busen und knetete ihn sanft. Wollust war in ihrem Blick.
Aruula traute sich nicht zurückzuweichen, da sie die Sitten der Einheimischen nicht kannte. Bei manchen Völkern war es normal, dass ein Gast am Abend seines Besuches den Gastgeber oder die Gastgeberin beglückte. Vielleicht herrschte bei diesem Volk der Brauch vor, einem weiblichen Gast den Busen zu kneten.
Na, von mir aus, dachte Aruula. Zärtlichkeiten waren ihr jedenfalls lieber als ein Dolch im Rücken.
»Ich werd verrückt«, sagte der Ballonpilot.
Seine Worte schienen einen Bann zu lösen. Nun lachten auch die ihn umzingelnden Frauen und warfen ihre Knüppel zu Boden. Indiira ließ Aruula los und machte eine einladende Geste, die wohl »Sei unser Gast« bedeutete.
»Danke.« Aruula deutete eine Verbeugung an.
Indiira nickte. Dass sie dieses Gehöft befehligte, erkannte Aruula, als sie die Frauen anwies, dem kleinen Mann zu helfen.
Alle gehorchte ihr aufs Wort: Die Frauen richteten den Käfig wieder auf, fingen die restlichen Skunkhörnchen ein und verstauten sie darin.
Nun kamen auch die Männer aus dem Haus. Es waren drei.
Sie rührten jedoch keinen Finger und schauten nur zu, als einige Frauen über eine Leiter auf das Hausdach stiegen, um es von der Ballonhülle zu befreien.
Aruula ging zu dem Ballonfahrer hin. Ihr Eingreifen hatte ihn vor einer Tracht Prügel bewahrt. »Ich bin Aruula vom Volk der Dreizehn Inseln. Wie heißt du?«
»Ich bin Kapitän Alexander Pofski vom Volk der Sibirjaken.« Der Pilot wischte sich den Schweiß von der Stirn.
»Danke für deine Hilfe, Aruula. Lange hätte ich bestimmt nicht mehr durchgehalten. Und ich wollte doch auch niemanden töten.«
»Schon gut.« Aruula musterte den Ballonkorb. Ob er wohl mehr als einen Menschen tragen konnte? »Lebt dein Volk in Euree?«
Pofski schüttelte den Kopf. »Nee, in Tscherskij.«
»Was ist das für ein Land?«
»Es ist kein Land. Es ist eine Stadt.«
»Wo?«
»Hoch oben im Norden; am Meer.«
»Kenn ich«, sagte Aruula. »Da war ich schon mal.« Sie dachte an die Daa'muren, die sich vor Jahrhunderten dort oben eingenistet hatten. »Wo ist dein Schiff?«
»Schiff?« Der Ballonfahrer machte große Augen.
»Hast du nicht gesagt, du bist Kapitän?«
»Ach so…« Pofski lächelte. »Ich habe kein Schiff mehr. Es ist vor zehn Jahren an der Küste von Ila auf ein Riff gelaufen und zerschellt.« Er deutete zum Himmel hinauf, an dem nun dunkle Wolken aufzogen. »Seither erforsche ich das Luftmeer. In Zukunft wird man noch viel von mir hören.« Er zog die Nase hoch.
Seine Nase war, wie Aruula auffiel, so winzig wie seine Ohren. »Wieso sprichst du die Zunge der Wandernden Völker?«
»Ich spreche viele Zungen.« Kapitän Pofski lächelte erneut.
Er schaute zum Himmel hinauf. Er wurde nun wirklich finster.
Ein kalter Wind kam auf. Die Luft roch nach Regen. »Auf meinen Schiffen fuhren Männer, Frauen und Mutanten aus aller Herren Länder – mit denen musste ich mich schließlich verständigen«, fuhr er fort. »Ich kenne alle Häfen der Welt.« Er wollte sich über den Korbrand schwingen, doch es gelang ihm nicht. »Na, sagen wir mal, ich kenne alle Häfen der mir bekannten Welt. Von Nipoo bis Britana.«
»Du warst schon in Britana?«, erkundigte sich Aruula.
»Kennst du die Bunkerleute
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