Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
164 - Der vielarmige Tod

164 - Der vielarmige Tod

Titel: 164 - Der vielarmige Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald M. Hahn
Vom Netzwerk:
dem Gesetz schützte – und dass man nicht wild darauf war, Fremdlinge willkommen zu heißen.
    Vor drei Tagen hatte sie bei einer nomadisierenden Familie auf einer Lichtung gerastet und einiges über dieses Land und seine Bewohner erfahren. Sie wusste allerdings nicht, wen die vierarmige Frau darstellen sollte, die ein Künstler auf das Tor gemalt hatte.
    Aruula kniff die Augen zusammen. Streckte das hübsch kostümierte und eine Krone tragende Weib ihr wirklich die Zunge heraus? Die obere Linke hielt den abgeschlagenen Kopf eines Mannes an den Haaren. In der Hand darunter: eine Schale, in die das tropfende Blut floss. Die obere rechte Hand schwang einen blutigen Säbel; die Hand darunter eine dreifach gezinkte Lanze. Und mitten aus ihrer Stirn ragte ein Pfeil.
    Das sah nicht gerade nach einer freundlichen Einladung aus.
    Oder wollte man mit dem Bildnis Bösewichte abschrecken?
    Egal – nach dem Tod ihres Kamshaas blieben Aruula nicht viele Optionen. In den Dschungel zurück? Dort gab es Schlangen, die von den Bäumen herabhingen und so taten, als seien sie Lianen! Handgroße Giftspinnen, die Sprünge von einer Speerlänge machen konnten! Schwärme von Shittaks, deren Kot ätzende Verbrennungen hervorriefen. Und in den Gewässern Shargatoren, die fast unsichtbar auf Beute lauerten.
    Kein Wunder, dass die Waldbewohner sich hinter Palisaden verschanzten: Induu war kein Märchenland. Zerfallen waren die Millionenstädte; von Wind und Wetter abgetragen und vom Dschungel überwuchert die Paläste der Maharadschas; den Weg alles Verdaulichen gegangen die Millionen heiliger Kühe; vom Eis gefrostet und gesprengt die Statuen der zahllosen Gottheiten, zu denen man früher aufgeschaut hatte. Heute war das einst zweitbevölkerungsreichste Land der Erde ein von Flüssen durchzogener Urwald, in dem man nur selten auf bewohnte Lichtungen stieß.
    Aus dem Orbit konnte man noch die Trümmer einstiger Mammutstädte erkennen, denen übler mitgespielt worden war als den Dörfern, denn der Kometeneinschlag hatte Feuersbrünste und Gasexplosionen ausgelöst, tödliche Giftstoffe freigesetzt und Mensch und Tier zu Milliarden krepieren lassen.
    Viele der Tiere hatten sich über die Jahrhunderte den Giften angepasst und waren mutiert: manche zu dämlichen, manche zu gerissenen, manche zu gefräßigen und manche zu übel riechenden Monstrositäten…
    Wie zum Beispiel die Skunkhörnchen, die nun durch das offene Tor sprangen und auf Aruula zuliefen.
    Die Barbarin stieß einen leisen Schrei aus und kletterte auf den nächsten Baum. Sie war nicht scharf darauf, die nächsten Wochen drei Meilen gegen den Wind zu stinken. Als sie auf einer Astgabel hockte, fegte die Meute unter ihr her. Sie hatte noch nie so viele dieser Biester auf einem Haufen gesehen.
    Was machten sie hier? Ihr Pfotengetrappel verlor sich in der Ferne. Aruula stieg hinab, schaute sich um und marschierte dann entschlossen auf die Siedlung zu, die wohl eher ein Gehöft darstellte. Hinter dem Zaun herrschte unverkennbar Aufregung.
    Als sie das Tor erreichte, sah sie ihre Vermutung bestätigt: Der Ballon lag erschlafft auf dem Palmenblätterdach eines Pfahlhauses. Der Korb stand am Boden. Er hatte wohl beim Landeversuch einen im Hof stehenden Käfig umgeworfen und zerschmettert.
    Einige Frauen jagten jene Skunkhörnchen, denen die Flucht noch nicht geglückt war. Andere schlugen mit langen Bambusstöcken auf den Ballonpiloten ein, der in dem Korb stand und sich mit einem rostigen alten Säbel verteidigte.
    Noch war kein Blut geflossen. Die Frauen waren sehr aufgebracht, doch der kleine Mann mit der Lederkappe schlug sich wacker. Natürlich würde er den Kürzeren ziehen, denn seine Gegner waren ihm zahlenmäßig zehnfach überlegen.
    Aruula war ebenfalls wütend auf ihn. Andererseits wollte sie ungern mit ansehen, wie man den Piloten nach Strich und Faden verprügelte. Und vielleicht bot sein Ballon ja eine Möglichkeit, schnell wieder von hier weg zu kommen.
    Also trat sie ins offene Tor und rief in der Sprache der Wandernden Völker: »Heda! Könnt ihr mir sagen, wo ich mich hier befinde?«
    ***
    Die Frauen drehten sich um. Der kleinwüchsige Ballonfahrer atmete auf und senkte den Säbel. »Dich schickt Wudan!«, rief er Aruula in derselben Sprache zu.
    Die Frauen hingegen schienen sie nicht verstanden zu haben. Tödliche Stille breitete sich aus.
    Aruula schaute sich um. Abschätzende Blicke tasteten sie ab.
    Gab es hier eigentlich keine Männer? Doch – da drüben glotzte

Weitere Kostenlose Bücher