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165 - Am heiligen Berg

165 - Am heiligen Berg

Titel: 165 - Am heiligen Berg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Seidel
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Schlaflosigkeit.
    ***
    Mai 2522
    Mit der sinkenden Sonne im Rücken ritt Aruula auf Shi'gana zu. Yinjo saß hinter ihr, schweigsam und in sich gekehrt. Wären da nicht die klammen Hände gewesen, mit denen er sich festhielt, hätte Aruula seine Anwesenheit kaum bemerkt. Der Abschied war tränenreich gewesen; besonders die Mutter und die Kleinen hatten schrecklich geweint.
    Ich werde auf keinen Fall umkehren, dachte die Barbarin.
    Sie achtete darauf, nur ja nicht zurückzublicken, damit sich der Junge kein Beispiel nahm. Es war ein weiter Weg nach Shi'gana, und Aruula hatte keine Lust darauf, ihn mit einem heulenden, von Heimweh geplagten Kind zu bewältigen.
    Die Landschaft ringsum war menschenleer, von rauer Schönheit und dazu geeignet, sich in seinen Gedanken zu verlieren. Hier und da wuchsen Büsche voll Blüten von leuchtendem Rot, die wie Kannen herunter hingen. Ihre langen, peitschenartigen Auswüchse bewegten sich träge im Wind. Manchmal schnürte in der Ferne ein Fuux dahin, kaum zu erkennen zwischen Geröll und Felsen, und am Himmel zogen Kolks ihre stillen Kreise. Aruula dachte an das laute, bunte Induu mit seinen Abenteuern und den vielen Menschen. Es war unvergleichlich anders als dieses schweigende Land hier, und die Barbarin fragte sich – nicht zum ersten Mal! – ob das, was man ihr erzählt hatte, überhaupt den Tatsachen entsprach. So hatte es zum Beispiel geheißen, in Ti'bai würde sanshi hergestellt. Aber wo? Und vor allem: von wem, wenn es gar keine Siedlungen gab?
    Sanshi war ein seltener, kostbarer Stoff, der in Induu hoch gehandelt wurde. Aruula fand ihn nutzlos: Er war kühl auf der Haut und glitt an einem herunter wie fließendes Wasser.
    Man konnte nicht mal Vorräte darin einpacken. Zu fein, zu empfindlich. Aber er glänzte sehr schön! Aruula nickte versonnen. Vielleicht würde sie ein Stück sanshi erwerben und es dem Gott des brennenden Felsens opfern. Später…
    Bodenwellen wurden allmählich zu Hügeln, und das Gelände führte nun stetig aufwärts. Die Barbarin schrak hoch, als ihr eine Kinderhand auf die Schulter tippte. Yinjo zeigte nach vorn.
    »Shi'gana«, sagte er.
    Aruula runzelte die Stirn. Man hatte ihr in Induu erzählt, dass die Hüter des Kei'lun in Shi'gana lebten, und sie hatte automatisch angenommen, Shi'gana sei ein Dorf. Aber was sich da auf der Spitze eines Felsenhügels ins Licht der Abendsonne hob, war ein einzelner großer Gebäudekomplex, schwarz und verfallen. Eine Steintreppe führte nach oben. Die meisten Stufen waren zerbrochen, einige fehlten, aus anderen wuchs Gras. Das Ganze sah ziemlich unbewohnt aus, und es erinnerte die Barbarin an etwas.
    »Shi'gana ist ein Kloster?«, fragte sie gedehnt und musterte dabei den Hügel mit seiner markanten Oberfläche.
    Eine Felsentasche neben der anderen schob dort ihren zerklüfteten Rand himmelwärts – und aus einer von ihnen
    … »Das darf nicht wahr sein!« Aruula zwinkerte ungläubig.
    Auf halber Höhe ragte ein grüner Kristall aus den Steinen, etwa einen Meter lang und mit einem tanzenden Irrlicht in seinem Inneren. »Daa'muren? Hier? Und ich dachte, diese Plage wäre endlich vorbei!«
    »Was sind Daa'muren?«, fragte Yinjo.
    Aruula zeigte nach vorn. »Siehst du den grünen Stein da oben?«
    »Ja.«
    »Das ist einer.« Die Barbarin zögerte. »Sag mal, gibt es hier noch mehr davon?«
    Yinjos Antwort wurde von einem Schrei überholt. Er kam aus der Ebene – und er klang nach Verderben. Aruulas Kopf flog herum.
    »Meerdu!«, fluchte sie halblaut, nahm die Zügel auf und hieb ihrem Yakk die Absätze in die Seiten.
    Reiter hatten die Bajaatenfamilie umzingelt, unten in der Ebene, weit entfernt. Aruula sah das Aufblitzen ihrer Schwerter und wusste, dass sie zu spät kommen würde.
    Dennoch trieb sie ihr Yakk zu halsbrecherischer Eile an.
    Yinjo hatte keine Zeit gehabt, das Bild des Überfalls in sich aufzunehmen. Auch jetzt konnte der Neunjährige nichts sehen, denn er musste sich an Aruulas Rücken geschmiegt festklammern, um nicht aus dem Sattel zu fallen.
    Schnaufend und mit erstaunlicher Behändigkeit donnerte das Yakk hügelabwärts, während die Fremden im Tal ein Opfer nach dem anderen niederstreckten.
    Aruulas Augen verengten sich. Bei Orguudoo!, dachte sie nur. Die Barbarin hatte schon viele Schrecklichkeiten erlebt und war auch selbst nicht zimperlich. Aber das hier ging zu weit! Vier schwarz vermummte Fremde stachen und schlugen erbarmungslos auf die Bajaatenfamilie ein. Bis Aruula sie erreichte,

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