1652 - Das Eiszeit-Erbe
Wissen bannte mich auf der Stelle, und ich wusste im ersten Moment nicht, wie ich mich verhalten sollte. Ich hatte das Gefühl, einen Stich in den Magen zu bekommen, verspürte einen schwachen Schwindel und setzte mich wieder hin, denn auch von dieser Position aus sah ich den starren Toten. Zuerst war es nur diese kurze Verbindung gewesen. So etwa wie ein ferner Gruß, was sich jetzt änderte, denn ich hörte Worte, obwohl niemand sprach.
»Du hast mich geholt, und ich weiß, dass dies nur ein Sinclair schaffen kann. Einer aus meinem Blut, und so hat sich das Versprechen doch noch erfüllt…«
Welches Versprechen?, fragte ich mich und zermarterte mir den Kopf, aber ich kam auf keine Lösung.
»Ich bin Brian Sinclair. Ich bin verwandt mit Prinz Henry Sinclair, und ich weiß, dass man uns gejagt hat. Der Klerus und der Staat waren hinter uns Templern her. Viele von uns sind gestorben und ihren Henkern zum Opfer gefallen. Ich bin es nicht. Ich habe einen anderen Weg gefunden, denn ich konnte die Hände ergreifen, die mir entgegengestreckt wurden. Ich brauchte den Tod nicht zu fürchten, denn die Hölle mit all ihrer Vielschichtigkeit hat sich auf meine Seite gestellt. Mir wurde gesagt, dass der Tod nicht das Ende ist, auch wenn es so aussieht. Ich habe mich diesem Schicksal ergeben und wollte, dass auch Prinz Henry Sinclair zu meinen Verbündeten zählte. Er hat es nicht getan. Im Gegenteil, er hat Baphomet bis aufs Blut gehasst. Wir waren auf dem Meer, als er mich zwingen wollte, der Hölle abzuschwören. Ich tat es nicht, und so wurden wir zu Todfeinden. Er wollte mich nicht mehr an Bord haben, denn er hat mich ein Pestgeschwür des Teufels genannt, das vernichtet werden muss. Aber er hat mich nicht getötet, er ließ mich aussetzen. Ich sollte für immer im Eis verschwinden, aber ich wusste ja, dass mich die Hölle nicht im Stich lassen würde. Ich hatte den großen Beschützer Baphomet. Seine Segnungen waren so stark, dass ich den Tod überwinden konnte. Ich bin nicht verwest, obwohl ich aus dem Leben schied, doch es ist bei mir ein besonderer Abschied gewesen. Und jetzt bin ich beinahe wieder da…«
Das war er. Ich konnte es drehen und wenden, aus seiner Sicht hatte er recht. All das, was gesagt worden war, klang in meinen Ohren nach, aber die Stimme in meinem Kopf war verstummt.
Aber was hatte dieser Vorgang für einen Sinn gehabt? Warum war ich angesprochen worden? Was hatte man mir sagen wollen? Nur dass ich informiert war, oder gab es noch andere Gründe?
Ich konnte nicht glauben, dass dies alles gewesen sein sollte. Möglicherweise war es erst ein Anfang.
Die Stimme blieb verschwunden.
Ich schaute mir jetzt diese Gestalt an.
Brian Sinclairs Lage hatte sich nicht verändert, aber es war trotzdem etwas mit ihm geschehen. Mehr zu spüren als zu sehen, denn ich sah, dass er plötzlich anfing zu zucken. Ganz leicht nur, und ich musste schon sehr genau hinschauen, um es zu entdecken.
Das Zucken fing am Hals an. Und zwar an beiden Seiten. Es kam mir vor, als hätte jemand eine gewisse Energie in seinen Körper gepumpt, um ihn zum Leben zu erwecken.
Und das war auch der Fall. Davon ging ich zumindest aus, als ich mich auf das Gesicht konzentrierte.
Ich traute meinen Augen nicht, aber das Gesicht sah aus, als wäre es dabei, sich zu verändern. Das war schon ein Phänomen. Es veränderte sich nicht nur, es passierte dabei etwas völlig anderes.
Brian Sinclairs Gesicht nahm ein anderes Aussehen an, wobei das wortwörtlich zu nehmen war.
Ich stand da und staunte. Innerhalb von Sekunden hatte sich hier ein Phänomen aufgebaut, mit dem ich meine Probleme bekam. Es war verrückt, nicht zu fassen und trotzdem vorhanden. Das Gesicht meines Ahnherrn wurde von einem anderen abgelöst, und das hatte ich an diesem Tag schon gesehen. Nur nicht bei einem Menschen, sondern außen an der Kiste.
Es gab für mich keinen Zweifel.
Mein Ahnherr Brian Sinclair hatte das Gesicht des Dämons Baphomet bekommen!
***
Ich stand neben der Gestalt wie vom Blitz getroffen. Das war kaum möglich, was sich mir da präsentierte. Ich wusste auch keine Erklärung. Das Gesicht war zur Fratze geworden, und ich sah den Mund, der so faunisch grinste. Die Augen sahen nicht mehr so starr und blicklos aus. Sie funkelten jetzt, und wenn man von einem bösen Funkeln sprach, dann traf das hier zu. Ich dachte an den Vergleich mit den Karfunkelaugen. Das kam hin, und ich wartete förmlich darauf, dass diesem Brian Sinclair Hörner wuchsen, die
Weitere Kostenlose Bücher