1664 - Die Schöne und die Grausame
Und wenn ich sie nicht befolge, wird sie mir ihre Zähne in den Hals hacken wie ein Vampir. Das ist doch so - oder? Ich habe mich bestimmt nicht geirrt. Ich habe ihre Zähne gesehen.«
»Hatte ich dich nicht gewarnt?«
»Ja, das hattest du.«
»Und du hast nicht auf mich gehört. Das hättest du tun sollen, mein Lieber.«
Tim schnappte nach Luft. »Ich lass mich aber nicht so leicht abschmettern«, flüsterte er. »Ich habe mich nämlich in dich verliebt. Ja, auch wenn du lachst, ich habe mich…«
»Ich lache ja gar nicht. Ich kann nur den Kopf darüber schütteln. Du hast einen Fehler begangen. Man verliebt sich nicht in mich.«
»Aber du hattest nichts dagegen?«
Elena schüttelte den Kopf und beugte ihn vor. »Finde dich damit ab, dass du für mich nur eine Affäre gewesen bist, die vorbei ist, kaum dass sie richtig angefangen hat. Vergiss mich, dann wirst du überleben.«
Tim Helling schwieg. Er presste die Lippen zusammen und schluckte. In seinem Kopf hämmerte es. Als er seine Freundin anschaute, hatte er das Gefühl, einen Schwindelanfall zu erleiden. Sie schien auch vor seinen Augen zu verschwimmen.
»Ich will dich nie mehr sehen. Es ist besser für dich.«
»Und deine Schwester?«, fuhr er sie an. »Ist sie überhaupt noch ein Mensch? Du bist die Schöne, sie ist die Grausame. Ja, so sehe ich das! Für mich ist sie kein Mensch mehr. Zumindest kein normaler. Sie ist einfach nur grauenhaft…«
Elena hatte ihn gar nicht angesehen. Mitten in seinen Wortschwall hinein sagte sie:
»Fahr lieber sofort. Sonst wird Tabea sich mit dir beschäftigen.«
»Wieso das denn?«
»Sie kommt!«
Diese beiden Worte jagten so etwas wie einen Adrenalinschub durch seinen Körper. Er schaute in den Spiegel.
Zuerst sah er nichts, doch als er länger hinsah, entdeckte er die Bewegung mitten auf der Straße. Für ihn sah es aus, als würde eine Joggerin ihren Weg ablaufen. Er nickte. »Danke für die Warnung, Elena.«
»Keine Ursache«, erwiderte sie.
Tim Helling startete. »Ich werde dich nicht vergessen, Elena, darauf kannst du dich verlassen. Mit mir nicht, kann ich dir nur sagen.«
Er startete und Elena musste schon zur Seite springen, um nicht von einem Kotflügel erfasst zu werden.
Tim raste davon. Er dachte an seine letzten Worte, die hatte er nicht einfach so dahin gesagt. So leicht würde er Elena nicht laufen lassen, und vielleicht war dies auch gut so. Es konnte ja sein, dass sie nur darauf wartete.
Er wusste aber, dass er allein stand und dass es schwer sein würde, das Versprechen zu halten. Jetzt überlegte er, wo er Hilfe bekam, und dann fiel ihm ein, an wen er sich wenden könnte…
***
Die Staatsanwältin Purdy Prentiss atmete tief durch und war froh, den Tag hinter sich zu haben. Zwar hatte sie keinen Prozess führen müssen, aber die Stunden mit dem Lesen von Akten zu verbringen war auch nicht eben das reine Vergnügen.
Allerdings hatte es eine Unterbrechung gegeben. Ein Mitarbeiter hatte sie angerufen. Ein junger Referendar namens Tim Helling. Sie kannte ihn seit knapp einem Jahr und war mit seiner Arbeit sehr zufrieden. Einige Male hatten sie ein Team gebildet. Tim hatte ihr zugearbeitet, und da hatte er sich wirklich hervorgetan. Er war ein regelrechter Wühler, was ihr zugutekam.
Nur sein Verhalten an diesem Tag irritierte sie schon. Tim hatte sich einen Tag Urlaub genommen, was sehr plötzlich gekommen war. Dann hatte er sie zwischendurch angerufen und um ein Treffen nach Feierabend gebeten. Und zwar nicht in den Gerichtsräumen, sondern in einem Lokal nicht weit von seiner Wohnung entfernt, wie er sagte.
Purdy Prentiss war verwundert gewesen. Sie hatte sofort nach den Gründen für das private Treffen gefragt, aber Tim hatte ihr nichts sagen können oder wollen. Er hatte nur davon gesprochen, dass er in der vergangenen Nacht in Lebensgefahr geraten war. In ihrem Beruf musste sich Purdy immer wieder Lügen und Übertreibungen anhören. Aber ihr Mitarbeiter war kein Angeklagter. Sie hatte ihn als einen korrekten und verlässlichen Menschen kennengelernt. Wenn er so reagierte, dann hatte er mit einem Problem zu kämpfen. Möglicherweise war die Sache mit der Lebensgefahr nicht übertrieben. Also hatte sie zugestimmt.
Ihr Mitarbeiter wohnte in einem Häuserblock in Bayswater, nicht weit vom Bahnhof Paddington entfernt. Das Lokal gehörte praktisch zu diesem Block und befand sich an einer Ecke, wo es natürlich keinen Parkplatz gab.
Den fand die rothaarige Staatsanwältin in einem
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