1665 - Boccus Traum
versteckt hielt und ihn, den Eindringling, beobachtete. „Attan!"
Aber Attan antwortete nicht. Boccu kam sich etwas hilflos vor. Immer wieder rief er nach seinem Geistführer. Dann fiel ihm ein, welche Mühe es ihn gekostet hatte, Attan zu sich zu holen, als er noch im Dorf wohnte. Und in der Unterwelt, als der Geistvogel plötzlich wieder bei ihm war, hatten völlig andere Bedingungen geherrscht als hier.
Wenn du mich brauchst, hatte Attan gesagt, dann bin ich da.
Auch das konnte ein Grund dafür sein, daß er sich jetzt nicht meldete. Entweder mußte Boccu ihn wieder beschwören, wozu ihm die magischen Utensilien fehlten, oder der Geistvogel wollte ihm sagen, daß er erst einmal selbst sein Geschick in die Hände nehmen mußte.
Warum eigentlich nicht?
Erst jetzt wurde dem jungen Dritten so richtig klar, was mit ihm geschehen war.
Er konnte sich so hoch wie möglich auf seinen plumpen Beinen aufrichten, er sah den Eingang zum Talkessel nicht. Wer sich so weit von seinem Dorf entfernte, daß er es nicht mehr sehen konnte (oder etwas, das dicht bei seinem Dorf war), der war verloren, so predigte es Vullum, und so hatten es alle Nasran immer gewußt.
Nun, Boccu war so weit fort, daß er den Eingang zum Dorf nicht mehr sah, und er fühlte sich eigentlich ganz wohl dabei. Abgesehen von den Nachwirkungen des Pilzrausches, den Schrammen und den Schmerzen am Körper, fehlte ihm nichts. Im Gegenteil, er hatte den Schritt über die Grenze gewagt und getan, und er sah eine ganze Welt vor sich, die es zu erforschen und zu erobern galt.
Boccu atmete tief durch und machte sich auf den Weg in diese neue Welt hinein.
Sein Geistvogel hatte sie ihm schon gezeigt, aber das waren alles schnelle und kurze Eindrücke gewesen. Boccu war auch noch etwas verwirrt und konnte sich nicht daran erinnern, welcher Stamm hier leben sollte.
Nach einer Weile erreichte er den Pfad, den die Bewohner dieses Landes sicher nur bis zum Ende gingen und dann wieder zurück. Boccu war etwas außer Atem geraten. Er sah einen großen Stein, setzte sich darauf und strengte die Augen an.
Denn, so dachte er sich, wenn die Nasran sich nur so weit von ihrem Dorf zu entfernen wagten, wie der Blick von dort aus reichte, dann taten, es ihre Nachbarn wahrscheinlich auch. Ihr Weg würde dann so weit reichen, wie die Sicht zu ihrem Dorf ging.
Boccu dachte nicht darüber nach, daß es wahrscheinlich ein absoluter Zufall war, der seine Überlegungen bestätigte. Denn genauso hätte er ja in einem Niemandsland landen können, in das ganze Tagesmärsche weit kein anderer Stamm sein Land ausdehnte.
Doch hier war ein Weg, und das bedeutete, daß bis hier auch jemand ging. Und daß von hier aus dessen Siedlung erkennbar sein mußte. Die Sonne brannte Boccu ins Gesicht.
Er beschattete seine Augen mit beiden Händen und sah nach einigem Suchen einen Baum, der anders aussah und viel höher war als alle übrigen, die hier wuchsen.
Der Geistvogel hatte ihm solche Bäume gezeigt. Manche Stämme errichteten sie in der Mitte ihres Dorfes, damit man es auch von weitem noch sah, wenn zum Beispiel die Höhlen und Hütten hinter einem Wald verborgen lagen. „Also auf", sagte der Nasran und stemmte sich hoch. Er schritt kräftig aus. Ihm war merkwürdig warm ums Herz. Mit jedem Stück, das er zurücklegte, wurde er aufgeregter. Er trauerte dem Talkessel nicht nach und seinem Stamm schon gar nicht.
Boccu bekam keine Angst, je weiter er sich davon entfernte, sondern platzte fast vor Neugier. Was würde er im fremden Dorf finden?
Auf den Gedanken, daß er als Fremder vielleicht unerwünscht war, kam er erst gar nicht. Sicher, die Leute hier würden bei seinem Anblick einen gehörigen Schreck kriegen, aber er hatte sich in seinen Tagträumen schon hundertmal überlegt, wie er ihnen die Angst nehmen würde. Man konnte sich immer verständigen, wenn beide Seiten guten Willen zeigten. Und er wollte ihnen nicht zur Last fallen, sondern bald weiterwandern, ins nächste Land. Sie würden dann ihren Kindern von ihm erzählen, und die Kinder der Kinder würden die Geschichte des großen Wanderers kennen, von Boccu, dem furchtlosen Abenteurer.
Die Stunden vergingen. Langsam wich Boccus Elan einer gewissen Müdigkeit. Bald war der Tag zu Ende. Was hatte er ihm nicht alles gebracht!
Soviel wie heute war der junge Dritte noch nie in seinem Leben marschiert. Er hatte ein Beben und die Flucht aus der Unterwelt überlebt, aber jetzt durfte er noch nicht aufgeben.
Wenn es dunkel wurde,
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