167 - Tor in die Vergangenheit
gewaltiges Seufzen, mit dem der Bulle losließ, er hörte das Rauschen und Perlen aufgepeitschter Wassermassen, und als diese Geräusche verebbten, glaubte er sogar das zuckende Herz und das Ausströmen von Blut zu hören. Strudel und Wirbel warfen Gilam'esh noch eine Zeitlang hin und her, dann geriet er in den Auftrieb, mit dem das Wasser den großen toten Körper nach oben drückte.
Er schmeckte Blut auf der Zunge. Jetzt erst erlaubte er sich den Triumph des Siegers. In Gedanken stimmte er ein Jubellied an und richtete seine mentale Kraft auf die Stellen aus, an denen er die Lichter der Thurainas zuletzt gesehen hatte.
Mehr durfte er nicht tun. Kein Wort, geschweige denn einen ganzen Satz durfte er auf mentalem Weg aussenden, doch seine Empfindungen mitzuteilen untersagte das Schweigegebot nicht.
Er brauchte ja Zeugen. Die Bluttaufe und den Bluttrank musste er unter den Augen von Zeugen vollziehen.
Gilam'esh trieb knapp unter der Wasseroberfläche. Wärme und metallener Geschmack hüllte ihn nach und nach ein. Er tauchte in die Blutwolke und bis zur Kehle unter dem Rachen des toten Bullen. Er konnte den Dreispieß noch immer nicht aus dem Fleisch ziehen; der Schaft war zu glitschig. Also nahm er das Zugseil seines Jagdnetzes und verknotete es um die äußeren beiden Spießklingen. Ein paar Mal zog er, musste sich dabei mit den Füßen gegen den Kadaver stemmen, und schaffte es auf diese Weise endlich doch noch, seine Waffe zurück zu bekommen.
Danach tauchte er bis zum äußeren Rand der Blutwolke, ließ sich dort treiben und wartete. Bald näherten sich die beiden Reitfische. Blinkzeichen unterhalb der Hauttaschen an einem Thuraina-Schädel signalisierten ihm, dass alle ihn sahen. Er winkte mit dem Dreispieß, machte kehrt und tauchte zurück in die Blutwolke.
Die Bluttaufe.
Im Zentrum der Wolke, da wo noch immer das Leben aus der Kehle des Wulrochbullen strömte, war sie am dichtesten und am wärmsten. Bis zur Wunde schwamm der Kandidat für die Reifeprüfung. Nahe an den Halsschuppen des toten Dickzahn-Wulrochs öffnete er den Mund. Blut strömte in seinen Rachen.
Der Bluttrank.
Während er schluckte, spürte er eine Hitze in seinem Kopf, die ein Hydree immer dann empfand, wenn er besonders viel tierisches Eiweiß zu sich nahm. Und das Blut eines Dickzahn-Wulrochs war geradezu ein Eiweißkonzentrat! Sein Genuss stimulierte jene Drüse an der Schädelbasis eines Hydree, deren Funktion die Mediziner der Ditrydree noch nicht geklärt hatten.
Die Hitze strömte vom Kopf aus durch seinen Körper, und Zuversicht und Selbstvertrauen erfüllten Gilam'esh. Er spürte förmlich, wie Kraft und Tatendrang in ihm wuchsen…
Und dann geschah es: Brennender Schmerz fuhr ihm in den Schädel. Es war, als würde einer jener Barbaren aus dem Westmeer ihm mit einer glühenden Klinge den Schädel spalten.
Er hörte auf zu schlucken, ganz steif war er mit einem Mal.
Dann explodierte etwas in seinem Geist, grelles Licht blendete ihn von innen, und für einen Moment sah er sich selbst zwischen den Blutschwaden treiben…
***
»Matt…?« Chandra duckte sich erschrocken. Wie abwehrend hob sie die Arme. »Bist du in Ordnung?«
Keine Antwort.
»Er hört uns nicht«, sagte Sternsang hinter ihr. Seine Stimme krächzte.
Das eigenartige Feld umgab den blonden Mann von der Erde wie eine Zylinder aus trübem Glas. Nur noch verschwommen sahen sie seine Gestalt dahinter. Er wirkte wie erstarrt, wie eingefroren, ja – er bewegte sich nicht mehr.
»O Matt… bitte nicht…« Chandra wollte zu ihm laufen, in das Feld hineingreifen, doch der Weltenwanderer hielt sie fest.
Lichtschlieren oszillierten zwischen der verschwommenen Gestalt des Erdenmannes und dem rot glühenden Kristall hin und her. Die Stimme hatte aufgehört, ihr immer gleiches Kauderwelsch herunterzuleiern.
Das Hologramm war erloschen.
»Was sollen wir tun…?«, flüsterte Chandra. »Bitte, verehrter Herr Sternsang, sagen Sie mir, was wir tun sollen…«
»Ich weiß es nicht…«
***
Er wusste nicht, wie ihm geschah. Sie kreisten mit den beiden Reitfischen um ihn und seine Jagdbeute; sie beleuchteten den auf dem Rücken treibenden Bullen und den Blutsee, der ihn umgab; sie sprangen aus den Hauttaschen, schwammen zu ihm, tasteten ihn nach Verletzungen ab und vertäuten den toten Dickzahn-Wulroch an einem der Thurainas; und sein Vater half ihm sogar, sein Netz, seinen Harnisch und sich selbst von all dem Blut zu reinigen.
Gilam'esh erlebte das alles wie durch
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