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168 - Das fremde Leben

168 - Das fremde Leben

Titel: 168 - Das fremde Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Ziebula
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ohne eigene Verluste.
    Ein Bote überbrachte die gute Nachricht an Gilam'esh, der mit sechs Schwärmen in einem Sumpf im Mündungsdelta des Stromes wartete. Kazar'bal und Manil'bud waren an der Spitze der Schwärme Acht bis Zwölf bereits stromaufwärts ins Landesinnere getaucht.
    Ohne eigene Verluste, dachte Matt und fragte sich, was er persönlich eigentlich verloren hätte, wenn ein oder mehrere Ditrydree den Angriff auf die Wachen mit dem Leben bezahlt hätten. Manchmal ertappte er sich dabei, dass er wie ein Hydree dachte und fühlte. Dann verstand er sich selbst nicht mehr.
    Den Angriff auf das Lager der Patrydree führte Gilam'esh an vorderster Stelle an. Vernünftiger wäre es nach Drax'
    Einschätzung gewesen, den bevorstehenden Kampf aus sicherer Position zu koordinieren und zu kommandieren.
    Vernünftiger für den Schwarm, für den Auftrag und für den gesamten Krieg vermutlich. Doch immer musste Gilam'esh im Brennpunkt des Geschehens stehen: auf der Jagd, im Wettbewerb der Forscher, in wissenschaftlichen Auseinandersetzungen und jetzt im Krieg sowieso. Matthew hatte es aufgegeben, ihm davon abzuraten. Solange ein Hydree die zweihundert Jahre nicht überschritten hatte, galt er noch als jung. Entsprechend hitzig war das Temperament des erst fünfundneunzigjährigen Gilam'esh.
    An der Spitze seiner ersten sechs Schwärme stapfte er durch den Sumpf, schwamm über den letzten Wasserarm des Stroms und kletterte eine steile Kiesböschung hinauf ans Ufer. Auch an Land – auf Trockenrotgrund, wie die Hydree das nannten – bewegte der Verband sich in Keilformation.
    Als er die Steilböschung überwunden hatte, schaute sich Gilam'esh nach seinen Kriegern um. Lautlos tauchten sie auf und wateten aus dem Wasser. Bald knirschte Kies unter dreihundertsechzig Fußpaaren.
    Gilam'esh blickte in den herrlich klaren Nachthimmel, und Matt sah die Sterne glitzern. Der Sternenhimmel unterschied sich erheblich von dem, den er von der Erde und zuletzt vom Mars aus gesehen hatte; so sehr, dass es ihm in all den Jahren noch nicht gelungen war, auch nur eines der vertrauten Sternbilder zu identifizieren; ganz zu schweigen von großen oder besonders hellen Sternen wie Beteigeuze oder Aldebaran.
    Die Erklärung war so einfach wie schmerzlich: Noch waren beide keine Roten Riesen, noch waren sie nicht so hell, wie sie einst sein würden.
    Manchmal, in seltenen wolkenlosen Nächten, wenn Gilam'esh sich außerhalb des Meeres aufhielt, sah Matt einen Milchstraßenarm. Dann war er jedes Mal für einen Moment erleichtert, wenigstens eine vertraute Erscheinung im Himmel zu entdecken; aber nur für einen Moment eben: Wesentlich intensiver nämlich empfand er selbst in solchen Augenblicken die Fremdheit dieses Himmels, war sie doch ein deutliches Indiz dafür, dass es ihn um wenigstens dreieinhalb Milliarden Jahre in die Marsvergangenheit verschlagen hatte; zu dieser Zeit nämlich hatte der Mars nach Kenntnis der Wissenschaft sein Wasser und ein Großteil seiner Atmosphäre verloren.
    Zwei Sterne allerdings konnte Matthew inzwischen mit bloßem Auge identifizieren, oder besser: zwei Planeten – den Saturn und die Erde. An diesem Abend stand die ferne Heimat über einem der Gipfel jenseits der Hügelkuppen, als wäre sie die Spitze eines Leuchtturms. Sie strahlte heller und war größer als die meisten Sterne am Himmel. Hätte Drax einen Körper besessen, hätte es ihm bei ihrem Anblick das Herz zusammengeschnürt.
    Zwei große Schatten huschten durch den Himmel – die beiden Tolots. Der Tiermeister hielt sich knapp hinter Gilam'esh; er stand im mentalen Kontakt mit den fliegenden Mammutfischen. Gilam'eshs Schwärme überquerten einen breiten Streifen Grasland und erreichten einen üppigen Wald.
    Das Gelände stieg an.
    Trotz der Dunkelheit und der mächtigen Baumkronen über ihnen erkannte Drax die Umrisse der Krieger im Blickfeld seines Wirts. Gilam'esh verfügte über eine erstaunliche Nachtsicht. Auch die Dunstschwaden zwischen den Stämmen und über dem Unterholz sah er deutlich. Es war feuchtwarm, heiß geradezu.
    Sie sammelten sich an einer Lichtung. Der Kriegsmeister schickte vier Kundschafter in das hohe Gras zum gegenüberliegenden Waldrand. Am Nachthimmel leuchtete die Erde. Trauer durchdrang Matts Geist. Nichts Besonderes: Trauer war seit so vielen Jahren schon seine treueste Begleiterin.
    Was hätte es genützt, sich darüber zu beklagen? Und bei wem hätte er sich beklagen sollen? Er hatte sich an die Trauer gewöhnt. Und sie

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