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168 - Das fremde Leben

168 - Das fremde Leben

Titel: 168 - Das fremde Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Ziebula
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war auszuhalten inzwischen. Vielleicht würde er sie sogar vermissen, wenn sie sich eines Tages in Nichts auflöste.
    Das war nicht immer so gewesen: Am Anfang, in den ersten Jahren, als die Trauer noch Verzweiflung hieß, wäre er fast wahnsinnig geworden. Nur in besonderen Stunden war es ihm gelungen, mit Gilam'esh zu kommunizieren. Wenn der Hydree krank war, oder verliebt, oder nach jenen drei beinahe tödlichen Situationen; und natürlich, wenn sie sich in den Tentakeln des Traumkraken ein paar Stunden lang der Illusion zweier autonomer Körper hingeben konnten. Ansonsten fühlte und dachte Matthew jahrelang gegen den Widerstand des jungen Hydree an oder musste sich auf Gilam'eshs Träume beschränken, um mit ihm in Verbindung zu treten.
    Der Hydree hatte ihn verdrängt, so gut er eben konnte. Und sicher: Er hatte gute Gründe dafür gehabt. Angst in erster Linie; die Angst, verrückt zu sein. Man fackelte nicht lange mit Geisteskranken in den Städten der Ditrydree.
    Erst als Drax ihm das dritte Mal das Leben gerettet hatte, änderte sich dieser für den Menschengeist unerträgliche Zustand. Es hatte Zeugen gegeben, die von Ferne gesehen hatten, wie die Schwanzflosse seines Reitfischs Gilam'esh traf und wie er bewusstlos in die Ausläufer des Tiefseestrudels geriet. Später konnten sie sich nicht laut genug darüber wundern, dass der junge Ditrydree buchstäblich im letzten Moment zu sich gekommen und aus eigener Kraft aus der Gefahrenzone geschwommen war. Bald erzählte man sich in der ganzen Ozeanstadt Tarb'lhasot, wie Gilam'esh dem Tod schon zum dritten Mal einen Haken geschlagen hatte; und nicht lange danach kursierte die Geschichte auch in vielen anderen Ozeanstädten der Ditrydree. Auf diese Weise wurde Gilam'esh nach und nach zu einem vielfach bestaunten Helden.
    Am meisten aber schien er selbst zu staunen. Jedenfalls behauptete er jedem gegenüber, der ihn darauf ansprach, von dem gefährlichen Zwischenfall nichts zu wissen: weder von einem Flossenschlag seines Reitfisches, noch vom tödlichen Sog eines Strudels, und schon gar nicht von seinem Kampf, den er schwimmend gegen die Naturgewalten gewonnen haben sollte. Erst als Matt sich in Panik und am Ende seiner Kraft an der rettenden Membran der Cockpithautfalte des Fisches festklammerte, war er wieder zu sich gekommen.
    Das war im fünften oder sechsten Jahr gewesen. Vielleicht auch im siebten, wer vermochte das nach so langer Zeit noch genau zu sagen? In den Jahren danach suchte Gilam'esh dann immer öfter Kontakt zu dem anderen Bewusstsein in ihm.
    Endlich hatte er nicht nur begriffen, welche Vorteile der Menschengeist in seinem Hirn ihm brachte, endlich akzeptierte er es auch. Ohne Maddrax wäre er längst nicht mehr am Leben.
    Ohne ihn wäre er kein Kriegsmeister. Ohne ihn würde er nicht zur Elite seines Volkes gehören. Matthew Drax wusste es, und Gilam'esh wusste es auch.
    Heißer Südwind schüttelte die Baumwipfel über den Ditrydree und bog das hohe Gras vor ihnen um. In weiter Ferne stieg eine leuchtende Aschewolke aus einem Vulkan. Die Kraterränder glühten. Donner grollte, als würde irgendwo in der Nähe ein Gewitter toben. Ein paar Leuchtkäfer flogen im Zickzackkurs dicht über den Grashalmen. Sharyllen. Der Wind fegte sie ins Gras; es sah aus, als wären sie plötzlich erloschen.
    Doch ihre gelblichen Lichter stiegen sofort wieder auf. Die Kundschafter hatten sie geschickt. Ein Zeichen, dass keine Außenposten der Patrydree im Wald mehr lauerten. Der Weg war frei.
    Gilam'esh huschte ins hohe Gras und winkte seine Krieger hinter sich her. Lautlos schlichen die sechs Schwärme in einer einzigen langen Reihe über die Lichtung. Als sie den Waldrand erreichten, hatten sie wieder die Keilformation eingenommen.
    Sie drangen ins Unterholz ein. Das war dichter hier als noch vor der Lichtung, und es wurde immer dichter.
    Gilam'esh zog den Kombacter aus einer Seitentasche seines Brustharnischs. Er schwang ihn über seinem Scheitelkamm, bis die Krieger rechts und links von ihm ebenfalls in ihre Taschen griffen und das Kombigerät herausholten. Die Bewegung setzte sich fort bis zu beiden Enden der Keilflanken.
    Ein erstaunliches Gerät, so ein mobiler Kombacter. Man konnte Wundränder damit reinigen, Fleisch bratfertig machen, Holz schneiden, Feuer entzünden, Löcher bohren, Gedankenbotschaften verstärken, Energieladungen verschießen und manches mehr. Jetzt hatten sie die Teleskopstiele eine Fingerlänge weit ausgezogen und benutzten die

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