1684 - So grausam ist die Angst
erleben. Es trennte sie nur die Grabbreite voneinander, und deshalb musste sie schnell handeln.
Sie riss den Stift hervor.
Jetzt war die Granate scharf.
Und dann schleuderte sie das Höllenei direkt vor die Füße des Schamanen …
***
Sie wusste, dass sie einige Sekunden Zeit hatte, bis die Granate explodierte. Was mit Uvalde passierte und wie er reagierte, das bekam sie nicht mit, denn sie warf sich nach hinten. Eine richtige Deckung gab es nicht für sie. Es war wichtig, dass sie auf dem Boden lag und sich dabei so flach wie möglich machte. Sie hatte eine Bauchlage eingenommen und die Arme schützend über ihrem Kopf ausgebreitet, als die Granate explodierte.
Darco Uvalde hatte es nicht richtig geglaubt, und als es ihm bewusst geworden war, da war es zu spät gewesen. Das Höllenei lag vor seinen Füßen und flog in die Luft.
Uvalde wurde voll erfasst. Erde wurde in die Höhe geschleudert, hinter der die Gestalt des Schamanen wie hinter einem Vorhang für einen Moment verschwand. Er schrie noch einmal auf. Dann warf ihn die Wucht der Detonation zu Boden. Splitter hatten sich in sein Gesicht gegraben und es zu einem blutigen Klumpen werden lassen.
Auf der anderen Seite des Grabs lag Rosy Mason. Auch sie hatte den Knall gehört und hatte einen Regen aus Dreck mitbekommen, der auf ihren Körper gefallen war.
Aber sie lebte.
Sie war auch nicht verletzt.
Sie war nur völlig fertig …
***
Wir hatten gesehen, dass Rosy in die Tasche gegriffen hatte. Da waren wir auch schon gestartet, aber von der Explosion waren wir trotzdem überrascht worden.
Uns tat die Granate nichts, wir spürten nicht mal ihre Druckwelle, weil wir zu weit weg waren, aber wir sahen, was passiert war.
Natürlich hatten wir gestoppt und hockten jetzt am Boden. Zwei Menschen lagen an den Seiten des Grabs. Zum einen der Schamane, der die volle Ladung abbekommen haben musste, zum anderen Rosy Mason, die sich ebenfalls nicht bewegte.
Um sie machten wir uns Sorgen. Lange blieben wir nicht in unserer gebückten Haltung und rannten quer über das Gräberfeld.
Darco Uvalde erhob sich nicht. Auch Rosy Mason blieb liegen, aber nicht so steif oder starr. Sie rollte sich zur Seite, um aufzustehen.
Suko lief zu dem Schamanen rüber. Ich blieb bei Rosy Mason, die ihren Kopf gedreht hatte und mich sah.
»Lebe ich?«
»Bestimmt!« Ich fragte nicht danach, woher sie die Handgranaten hatte, sondern streckte ihr meinen Arm entgegen und wollte ihr auf die Beine helfen.
»Nein, lassen Sie mich sitzen. Ich bin zu schwach.«
Den Gefallen tat ich ihr gern und sprang über das Grab hinweg, weil ich mir den Schamanen anschauen wollte. Suko kniete neben ihm und rückte jetzt etwas zur Seite, damit ich einen freien Blick bekam.
»Und?«
»Sieh selbst, John.«
Das tat ich auch, und ein erster Blick reichte mir aus. Die Handgranate hatte ganze Arbeit geleistet, wenn man das mal so formulieren durfte.
Darco Uvalde mochte zwar den Kontakt zwischen zwei verschiedenen Welten hergestellt haben, aber unsterblich war er nicht. Er war letztendlich ein Mensch mit einem stofflichen Körper, und den hatte die Wucht der Detonation getötet.
Von Uvaldes Kopf war nur noch ein blutiger Klumpen übrig geblieben, auch der Oberkörper hatte dicht unter dem Hals etwas abbekommen, aber für seinen Tod hatte letztendlich die Zerstörung des Kopfes gesorgt.
»Sein Pech«, sagte ich. »Er wird keine Menschen mehr beeinflussen können.«
»Sicher. Und getötet hat ihn Rosy Mason. Hättest du das von ihr erwartet?«
Bevor ich eine Antwort gab, warf ich ihr einen Blick zu. Sie saß noch immer an der anderen Seite des Grabes am Boden. Sie hielt den Kopf gesenkt und schien nicht mehr richtig bei sich zu sein.
Ich wollte den Blick schon wieder abwenden, da spürte ich den Wärmestoß an der Brust.
Er war sehr plötzlich gekommen, und Überraschung zeichnete sich auf meinem Gesicht ab.
»Was hast du?«, fragte Suko.
»Es ist noch nicht vorbei, glaube ich …«
***
Rosy Mason lebte noch. Nur fiel es ihr schwer, dies zu begreifen. Sie wusste, dass sie großes Glück gehabt hatte.
Hätte sie die Granate nicht gehabt, wäre alles anders verlaufen. Dann wäre sie jetzt nicht mehr am Leben. Aber es gab sie noch. Sie hockte verdreckt auf der Erde neben dem Grab ihrer Freundin. Sie atmete, bei ihr war alles normal, und sogar die beiden Scotland-Yard-Beamten waren da. Zwar hatten sie nicht mehr eingreifen können, aber ihre Nähe gab ihr schon eine gewisse Sicherheit.
Obwohl
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