169 - Die Drachenmenschen
Seiten auf Dorian ein. Weit vor ihm brachen Einschläge tonnenschweres Geröll aus der Wand.
Dorian fischte die zerknüllte Zigarettenschachtel aus seiner Hosentasche. Zwei Glimmstengel waren noch da. Einen davon steckte er sich zwischen die Lippen und versuchte vergeblich, ihn anzuzünden. Der Wind war noch immer so stark, daß das Feuerzeug nur für den Bruchteil eines Augenblicks aufflammte. Aufgebracht zerrieb Dorian die Zigarette dann zwischen den Fingern.
Ein Schatten fiel auf ihn.
In die Höhe blickend, gewahrte er zwei mächtige Wesen, die sich mit ausgebreiteten Flughäuten höher und höher emporschraubten, als gäbe es kein Gewitter, das sie gefährden konnte. Im ersten Moment glaubte er, riesenhafte Fledermäuse vor sich zu haben, doch nach und nach erkannte er die Unterschiede. Das waren Drachenmenschen. Ihre schuppigen Leiber, die knochigen, extrem verlängerten Arme zum Spannen der ledernen Schwingen und die echsenförmig aufgedunsenen Schädel - all das erinnerte ihn unwillkürlich an Ricardo Almerante. Zu allem Überfluß hatten die beiden ihn als Beute auserwählt.
Im Sturzflug kamen sie herab. Dorian blieb keine Zeit, sich nach einer Waffe umzusehen. Er schaffte es gerade noch, sich eng in eine Felsrinne zu pressen. Nur um Zentimeter verfehlten ihn die messerscharfen Fänge.
Den Windschatten der Felsen verlassend, mußten die Drachenmenschen vorübergehend gegen den Sturm ankämpfen. Dorian Hunter nutzte die kurze Zeitspanne, um seinen Standort zu wechseln. Einige faustgroße, scharfkantige Steine kamen ihm gerade recht. Der nächste Angriff erfolgte, noch bevor er sein Ziel, eine dunkel gähnende Höhlenöffnung erreicht hatte. Dorian schleuderte den Drachen die Steine entgegen. Einen traf er am Kopf, dem anderen durchlöcherte er die rechte Schwinge. Er konnte aber nicht verhindern, daß die zupackenden Fänge ihn schmerzhaft an der Schulter trafen. Er stürzte, schlug schwer auf, der Drache kam über ihn. Dorian wälzte sich auf den Rücken. Seine Rechte ertastete den silbernen Drudenfuß in der Jackettasche. Ohne zu überlegen, warf er das magische Symbol.
Der Drachenmensch schrie, als der Drudenfuß sich in seine schuppige Brust bohrte. Steif richtete er sich auf, riß die Schwingen zurück… Dorian nutzte den Moment, um abermals loszurennen. Dunkel und drohend lag der Höhleneingang vor ihm.
Egal, was ihn dort erwartete, er brauchte Zeit, um zu verschnaufen.
Er schaffte es. Zurückblickend sah er den einen Drachenmenschen noch immer zwischen dem Geröll liegen.
Der Drudenfuß hatte ihn entweder getötet oder schwer verletzt. Die andere Bestie war verschwunden. Zumindest konnte er sie nicht sehen, ohne sich zu weit vorzuwagen.
Die drei Dämonenbanner, die er noch besaß, stellte Dorian unmittelbar am Eingang auf. Zu seiner Überraschung fand er auch ein kleines Stück magisch aufgeladener Kreide, mit dem er zusätzliche Bannzeichen auf den Fels malte. Das war nicht viel, reichte aber hoffentlich aus, ihm Ruhe zu verschaffen.
Die Höhle war nur vier oder fünf Meter tief und endete dann. Dorian hätte es sich zwar anders gewünscht, konnte die Tatsachen aber nicht ändern.
Ein gräßliches Zischen ließ ihn herumfahren. Der Drachenmensch glitt unmittelbar vor der Felswand vorüber; in seinen Augen brannte eine unstillbare Gier. Der Dämonenkiller schleuderte dem Monstrum einige Textzeilen aus der Tabula smaragdina des Hermes Trismegistos hinterher, die allerdings ohne Wirkung blieben.
Sekunden später hallte irres Gelächter von den Felsen wider. Schwärze wallte auf, drängte in die Höhle herein. Wo sie die Dämonenbanner berührte, begannen diese unter dem Einfluß starker schwarzmagischer Kräfte zischend aufzuglühen und zu zerfließen. Ungläubig sah Dorian zu, wie eine unsichtbare Hand zudem die Kreidezeichen verwischte.
Er hatte dem Drachenmenschen nichts mehr entgegenzusetzen, der nun in die Höhle hereindrängte. Vergeblich versuchte er einen Ausfall. Wie Schraubstöcke schlossen sich die Krallen um seine Oberarme, zerrten ihn in die Höhe und trugen ihn fort, hinauf in die dräuende Gewitterfront und zwischen die zuckenden Blitze.
Er spürte die ungeheuren Entladungen, roch das Ozon, das sich unterhalb der Wolken bildete.
Dann blieb das alles hinter ihm.
Der Drachenmensch näherte sich einem hoch aufragenden, von ewigem Schnee und Eis bedeckten Gipfel. Der anschließende Sturzflug ließ Dorians Magen rebellieren und raubte ihm schier die Besinnung.
Unvermittelt
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