1693 - Letzte Zuflucht: Hölle
Fremde im Ort, die wir noch aus dem Weg schaffen müssen. Aber keine Sorge, danach kommen die Kleinen wieder in ihre Elternhäuser zurück.«
»Das ist doch nicht möglich …«
»Doch, es ist möglich. Sie werden normal aufwachsen, aber sie gehören nicht mehr ihren Eltern, sondern dem Teufel. Er hat bereits nach ihren Seelen gegriffen. Jeder, der sich uns in den Weg stellt, den werden wir in seinem Namen vernichten.«
Wiebke wunderte sich, wie gelassen sie blieb, als ihr eine Frage über die Lippen rutschte.
»Dann soll auch ich sterben?«
»Ja, in seinem Namen. Die letzte Zuflucht Hölle steht auch dir offen, aber du gehörst nicht zu uns. Dich wird im wahrsten Sinne des Wortes der Teufel holen.«
»Und euch hat er schon, wie?«
»Wir gehören zu seiner Truppe. Wir sind eigentlich Menschen, aber wir existieren auch mit einem zweiten Aussehen. Wir kümmern uns um den Nachschub. Sechs Kinder sind dem Teufel bereits geweiht. Sein Geist steckt in ihnen und er wird sie nicht mehr loslassen.«
Den ersten Schock hatte Wiebke Hiller überwunden, und wieder einmal reagierte sie impulsiv. Sie warf sich nach vorn und holte dabei auch aus. Damit hatte keiner der Höllendiener gerechnet. Die Faust der jungen Frau traf etwas Weiches. Sie hatte den Eindruck, in einen zähen Schlamm geschlagen zu haben. Dann sah sie in das Augenpaar, das nicht mehr stillstand, sondern zuckte.
Wiebke sah das als Hoffnung an. Es blieb nicht bei dem einen Schlag, sie drosch noch mal, spürte wieder diesen weichen Widerstand. Einen Moment später war das Glutpaar aus ihrem Blickfeld verschwunden.
Jetzt musste sie rennen!
Allein konnte sie nichts mehr ausrichten. Es war wichtig, dass sie wegkam, und so stürzte sie auf die zweite Gestalt zu, schrie und rammte beide Fäuste in die Masse hinein.
Auch jetzt hatte sie Grund zum Jubeln, das glühende Augenpaar verschwand, und sie glaubte, freie Bahn zu haben.
Es war ein Irrtum.
Obwohl der Ausgang nicht weit entfernt lag, erwischte es sie auf dieser kurzen Strecke. Warum sie fiel, wusste sie nicht. Ihre Füße verloren den Kontakt zum Untergrund, dann hatte sie den Eindruck, als würde sie schweben. Sie starrte in den Nebel, sah die lauernden Skelette – und fiel.
Schwer schlug sie auf und prallte dabei mit dem Kinn noch gegen einen harten Widerstand. Es war so schlimm, dass Sterne vor ihren Augen zuckten, zusätzlich traf sie noch ein Schlag gegen die Schläfe, und damit war ihr Widerstand gebrochen.
Sie blieb liegen. Sie war fertig. Aber sie wurde nicht bewusstlos. Wiebke Hiller wusste, dass sie verloren hatte. Und dass es jetzt um ihr Leben ging.
Aber sterben?
Nein, das wollte sie auch nicht, und so versuchte sie, auf die Beine zu kommen, was ihr nicht gelang, denn sie war einfach zu schwach. Die Augen wollte sie nicht schließen, und so sah sie, dass sich die beiden Gestalten bewegten. Sie schlichen dorthin, wo sich die Kinder befanden, die nach wie vor in einer Reihe lagen.
»Jetzt werden die Kleinen ihre Prüfung ablegen«, hörte Wiebke die Stimme. »Auch wenn sie sich kaum bewegen können, aber in ihren Köpfen hat sich der Geist der Hölle bereits ausgebreitet und sie übernommen. So werden sie zu den kleinsten Killern der Welt, und du bist ihre Premiere.«
Das kann nicht wahr sein! Nein, das ist ein Traum und einfach nur verrückt! So was gibt es nicht in der Wirklichkeit …
Leider gab es das, denn jetzt sah sie, dass sich die Kleinkinder doch bewegen konnten. Sie standen nicht auf, dazu waren sie nicht in der Lage, aber sie konnten sich abstoßen und so über den Boden rollen.
Das war nicht weiter tragisch. Als besonders schlimm empfand Wiebke die Veränderung in ihren Händen. Was sie da festhielten, erkannte sie erst auf den zweiten Blick.
Zwischen den Fingern klemmten kleine spitze Gegenstände. Vergleichbar mit spitzen Messern.
»Sie sind bereits in der Lage, Befehle aufzunehmen, obwohl sie so jung sind und nicht mal laufen können. Die letzte Zuflucht Hölle steht ihnen offen, aber zuvor werden sie dich mit ihren Waffen attackieren, und wir werden zuschauen, wenn sie die Messerspitzen in dein Gesicht und deine Kehle stoßen …«
***
Der Nebel war da, ich hatte den Hang hinter mich gebracht. Das Kreuz hing nun vor meiner Brust. Jeder sollte sehen, mit wem er es zu tun hatte.
Kaum hatte ich den Gleiskörper betreten, da fielen mir bereits die schwachen Gestalten in der grauen Suppe auf. Meine Freunde, die Skelette. Freiwillig würden sie nicht verschwinden.
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