170 - Hüte den Speer - Magiure, Margo
auf ihren Mund, sodass sie kaum noch atmen konnte. In gälischer Sprache gebot er ihr in unmissverständlichen Worten, dass sie augenblicklich ruhig sein sollte. Dann zerrte er sie weiter hinter sich her, immer tiefer in den Wald, und Keelin litt fürchterliche Schmerzen, da ihr Peiniger sie roh an ihren Haaren mit sich fortriss.
Sie konnte kaum noch klar denken. Wirre Gedanken schossen ihr durch den Kopf, als sie verzweifelt die Fingernägel in die Hände des Mannes bohrte. Würde der Krieger sie umbringen? Wer kümmerte sich dann um Onkel Tiarnan? Was würde aus Ga Buidhe an Lamhaigh werden? War ihr Hilfeschrei überhaupt von irgendjemandem gehört worden?
„Lass sie frei!“
Der Kelte hielt inne und fuhr herum. Er zog Keelin wie einen Schild vor seinen Körper, als er Marcus de Grant erblickte, der wie ein Riese zwischen zwei Bäumen hervorkam und sich ihm drohend entgegenstellte.
„Bleibt ruhig, Keelin“, raunte Marcus finster.
Voller Entsetzen spürte sie eine kalte Klinge an ihrer Kehle. Sie wusste, dass ihr Leben auf dem Spiel stand, wenn sie versuchte, sich loszureißen.
„Gib mir Ga Buidhe an Lamhaigh , und ich lasse dich gehen!“, verlangte der Krieger.
„Nìl!“, rief sie.
Lord Wrexton wartete mit gezogenem Schwert darauf, den Iren zur Strecke zu bringen, aber Keelin befürchtete, dass der junge Graf nichts ausrichten konnte, solange der Krieger sie als Schutzschild missbrauchte – die eine Hand in ihrem Haarschopf, die andere am Knauf des Messers. Wenn de Grant angriff, würde der Schurke sie töten.
Marcus stand abwartend und wie zum Sprung bereit da, bevor er begann, sich kreisförmig um den Angreifer und sein Opfer zu bewegen. Keelin fragte sich in ihrer Verzweiflung, was der Engländer im Sinn hatte, um sie zu retten.
Der Krieger riss jetzt noch unbarmherziger an ihrem Haar, sodass sie vor Schmerzen laut aufschrie. Er versuchte, de Grant genau im Blick zu behalten, und bewegte sich genauso langsam wie sein Gegenüber. Und doch entging es Keelin nicht, dass ihr Entführer zunehmend unsicher wurde. Sie war indes zu verängstigt und folgte allzu willig seinen Bewegungen, damit sich die drohende Klinge nicht in ihren Hals bohrte.
„Du wirst diesen Wald nicht lebend verlassen, Kelte!“, drohte der Graf. „Lass sie los, und ich schenke dir dein Leben! Lass dein Messer …“
Keelin vernahm mit einem Mal ein lautes Knallen hinter sich, und der Ire schrie auf. Hart fiel sie auf die Knie und stürzte dann mit dem Gesicht auf den Waldboden.
In dem plötzlich anbrechenden Rufen und Schreien verlor sie beinahe die Besinnung, als ob sie gerade eine überwältigende Vision erlebt hätte. Wild schlug das Herz in ihrer Brust, und das Blut pochte laut in ihren Ohren. Jemand half ihr auf die Beine, doch sie konnte sich nicht halten, da ihre Knie nachgaben. Als sie erneut zu Boden stürzte, hörte sie das Klirren von Schwertern und grimmige Rufe von Männern, die um ihr Leben kämpften. Dann war mit einem Mal alles still. De Grant hob sie hoch und trug sie auf seinen Armen zu dem Pfad, der zur Hütte führte.
Der junge Graf schwieg, während er sie behutsam durch den dichten Wald trug. Zitternd legte Keelin die Arme um seinen Hals, hielt sich an ihm fest und genoss das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit. Es war Jahre her, dass irgendjemand sie beschützt hatte oder ihr zu Hilfe geeilt war. Der Engländer hatte einen Mann getötet, um ihr das Leben zu retten.
Sie schaute zu Lord Wrexton auf, der starr nach vorne blickte, und sah zum ersten Mal seine kurzen, rotblonden Barthaare. Noch nie war sie einem Mann so nahe gekommen, und nie zuvor hatte ihr der Körper eines Kriegers so gut gefallen. Abermals staunte sie über die schiere Kraft dieses Mannes, der erst vor wenigen Stunden in ihr Leben getreten war. Sie schloss die Augen, als ob sie die Gedanken nicht zulassen wollte, die ihr gewiss nichts als Ärger bereiten würden. Wie der Mann so stark und so rasch ihre Sinne verwirren konnte, war ihr ein Rätsel.
Marcus erreichte die Hütte und das kleine Lager, das seine Getreuen aufgeschlagen hatten. Behutsam setzte er Keelin auf den Stumpf einer großen Eiche, während seine Gefolgsmänner neugierig näher kamen. Sachte legte er eine Hand unter ihr Kinn und hob ihren Kopf. „Ihr blutet“, sagte er und bemerkte nicht ihren bewundernden Blick. Vielmehr war er erstaunt, dass ihr nichts Schlimmeres zugestoßen war, denn der Kelte hatte Keelin hart sein Messer an die Kehle gehalten. Gott sei Dank
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