Am Ende der Treppe, hinter der Tür (German Edition)
1.
W en sollst du abholen?», fragt Jill und schnipst die Asche von ihrer Zigarette.
«Penelope», sagt Martha.
«Ist das ein Hund?»
«Schön wär’s.» Martha klappt ihr Handy zu und steckt es ein. Hätte sie es doch bloß zu Hause gelassen.
Zu Hause?
Großartiger Witz. Nur dass ihr überhaupt nicht zum Lachen zumute ist.
Jill bläst Rauchkringel in die Luft. «Sag nicht, das ist die Tochter von dem Typen deiner Mutter?»
Martha nickt.
Jill lacht laut. «Wenn ich mir vorstelle, wie der auf dem Spielplatz ruft: ‹Penelope, du Sau, komm ma raus aus die olle Buddelkiste!› Zum Brüllen.»
«Der ist kein Proll», sagt Martha.
«Stimmt ja, Arzt, oder? Hat der irgendwo ’ne Praxis?»
Martha schüttelt den Kopf. «Krankenhaus.»
Jill hat das Interesse an Marthas neuen Familienverhältnissen wieder verloren. Sie zeigt auf Hanna, die gerade auf mörderisch hohen Absätzen herangestöckelt kommt. «Musst ja eine schlimme Nacht gehabt haben», sagt Jill zu ihr.
«Ich? Wie kommst du denn darauf?», fragt Hanna.
«Na, du hast doch bestimmt mit Lockenwicklern geschlafen.»
Hanna schüttelt ihre krause Mähne. «Von wegen Lockenwickler. Meine Mutter hat mir lauter kleine Zöpfe geflochten. Sieht cool aus, oder?»
«Hm», macht Jill vage und zwinkert Martha zu. Hanna hat einen Haarfimmel, sie ist nur glücklich, wenn sie jeden Tag mit einer anderen albernen Frisur auflaufen kann.
«Macht aber verdammt viel Arbeit. Ich wünsch mir zum Geburtstag ein Kreppeisen, das ist einfacher», sagt Hanna und wickelt eine Strähne um ihren Finger.
Jill geht um Hanna herum. «Hinten baumelt noch ein Zopf, den hast du vergessen. Sieht aus wie eine Zündschnur.»
«Was?», kreischt Hanna. «Kannst du den aufmachen?»
«Das mach mal schön selbst», sagt Jill und nimmt einen Zug von ihrer Zigarette.
Hanna stakst eilig davon, um sich vor Unterrichtsbeginn auf dem Klo zurechtzumachen, und Jill und Martha lachen ihr hinterher.
«Meine Mutter würde mir was erzählen, wenn ich sie bitten würde, mir tausend kleine Zöpfchen in die Haare zu flechten», sagt Martha und fährt sich durch ihre dichten dunklen Locken.
«Du hast das ja auch nicht nötig», sagt Jill.
Sie streicht ihre glatten blonden Haare hinters Ohr und hält Martha auffordernd die Zigarettenschachtel hin. «Du auch?» Aber sie schaut Martha nicht an dabei, sondern Simon, der gerade um die Ecke biegt.
Anscheinend hat er sich die ersten beiden Stunden geschenkt, wie so oft. Er sieht aus, als würde er geradewegs aus dem Bett kommen, aber Martha ist sicher, dass er sich viel Mühe gibt, um diesen Eindruck zu erwecken. Er schnappt sich die Zigarette, bevor Martha sie nehmen kann.
«’tschuldigung, hatte noch kein Frühstück.»
«Seit wann bist du Existenzialist?», fragt Jill.
«Häh?» Simon lässt sein Feuerzeug schnappen.
«Noch nie von Jean-Paul Sartre gehört? Paris? Sechziger Jahre? Schwarze Rollkragenpullover?»
«Du sprechen irr», nuschelt Simon mit der Zigarette im Mundwinkel.
Jill stößt ein verächtliches Schnauben aus. «Deren Frühstück bestand aus einem doppelten Espresso und einer Gauloise.»
«Lecker», sagt Martha. Sie hat auch noch nichts von diesem Sartre gehört, aber das würde sie nie zugeben. Jill nimmt an der Französisch- AG teil, bestimmt hatten sie den Kerl da gerade am Wickel, aber wenn man sie so hört, könnte man meinen, dass sie mindestens zehn Bücher von dem gelesen hat.
Jill wendet sich Martha zu. «
Huis clos?
Kennst du doch, oder?»
Martha wird einer Antwort enthoben, denn ein Motorrad donnert die Straße entlang und hält direkt vor ihnen an.
Marthas Herz klopft bis zum Hals. Der Fahrer steigt ab, bockt die Maschine auf und nimmt den Helm ab. Blonde Locken quellen hervor. Er streicht sie aus der Stirn.
Martha kann nicht anders, sie muss ihn anstarren, den Mann, der jetzt mit federnden Schritten auf sie zukommt. Es ist Alexander Miller, ihr Englischlehrer.
Er lächelt Martha an. Na ja, um ehrlich zu sein, nicht nur sie, sein Lächeln schließt auch Jill und Simon mit ein.
«Wenn ich euch sehe, weiß ich sofort, dass ich in Berlin bin und nicht in New York», sagt er.
«Weil wir so sensationell gut aussehen?», fragt Jill.
Miller grinst. «Nein, weil ihr raucht. In New York raucht kein Mensch mehr.»
«Nicht mal im Freien?»
«Ihr findet eher einen 100 -Dollar-Schein auf der Straße als eine Kippe.»
«Krass», sagt Simon.
«See you!» Miller hebt grüßend die Hand und eilt über den Hof.
«Kann mir mal
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