1710 - Im Bann der schönen Keltin
sie ihn. An dieser Stelle war sie jeweils erwacht, das aber geschah in dieser Nacht nicht. Birgitta konnte nichts dafür, dass der Traum sie weiterhin beschäftigte. Das Unterbewusstsein ließ sich nicht lenken, und so musste sie sich ihm ganz und gar hingeben.
Dann passierte es.
Der Wind heulte plötzlich auf. Eine unsichtbare Kraft packte die Wassermassen dort, wo das Meer schon an Tiefe gewonnen hatte. Sie wurden durchgepeitscht. Wellen entstanden, die gegeneinander rollten.
Auf dem Wasser entstand ein Strudel. Seine Ursache musste in der Tiefe liegen. Die Frau mit den roten Haaren sah nur, dass sich das Wasser auf der Oberfläche immer schneller drehte und sich dabei in einen Kreis verwandelte, der alles in die Tiefe zerrte, was in seine Nähe gelangte.
Die Frau bewegte sich nicht. Die Faszination hatte sie starr werden lassen, doch sie konnte den Blick nicht von diesem sich immer schneller drehenden Mahlstrom abwenden.
Es war völlig neu für sie, und sie konnte sich vorstellen, dass es auch zu einem umgekehrten Vorgang kam, dass der Sog nicht etwas in die Tiefe ziehen, sondern aus ihm hervorholen würde, um es an den Strand zu spülen.
Es war eine Wasserfontäne, die sich vom Rand des Trichters löste. Sehr breit und auch gläsern aussehend schwang sie sich in die Höhe, schlug dann einen Bogen nach rechts, sodass das Wasser einen Körper bildete, der einem noch nicht ganz fertigen Halbmond glich.
Das Gebilde hätte zusammenfallen müssen, was nicht geschah. Es blieb in seiner Form und seiner Haltung so bestehen, als hätte es sich in ein gläsernes Kunstwerk verwandelt.
Und dann geschah noch etwas.
Das Gebilde wurde dunkler. Zumindest kam es der Beobachterin so vor. Aber das stimmte nicht, denn in Wirklichkeit geschah etwas völlig anderes damit, und es war auch kaum zu fassen, sodass die Frau an eine optische Täuschung glaubte.
Wasser verwandelte sich in Glas.
Das sah jedenfalls so aus. Denn noch immer blieb das Gebilde stehen und erinnerte an einen gläsernen Bogen, dessen Anfang noch im Wasser steckte, das Ende aber hervorschaute und sich plötzlich veränderte. Es teilte sich in zwei Hälften, sodass so etwas wie ein Maul entstand.
Ja, es war ein Maul!
Weit aufgerissen, und diese Form erinnerte an das Maul einer riesigen Seeschlange, die ihren Kopf so weit nach vorn gebeugt hatte, dass er über dem Strand schwebte und sich praktisch dort befand, wo sich die rothaarige Frau aufhielt.
Die wusste Bescheid. Sie hatte zwar keine Erklärung, aber sie war nicht blind. Und sie glaubte auch nicht daran, dass dieses Gebilde für immer starr oder tot war. Es konnte jeden Augenblick zum Leben erweckt werden.
Wenn das geschah und wenn es dabei nach unten fiel, dann würde es die Frau erwischen, und das Maul war groß genug, um ihren Kopf zu verschlingen.
Sie ging nicht zurück, sie floh nicht. Sie tat etwas anderes. Mit einer knappen Bewegung des rechten Arms griff sie an die linke Seite ihres Körper, wo eine Waffe steckte, die sie mit einer geschmeidigen Bewegung zog.
Es war ein Schwert!
Dass sie es hervorgeholt hatte, zeigte an, dass die Frau bereit war, sich dem Wesen im Kampf zu stellen …
***
»Das habe ich mir schon gedacht«, sagte Glenda Perkins, als wir ihr Vorzimmer betraten.
»Was hast du dir gedacht?«
Sie drehte sich von mir weg und wies auf die Kaffeemaschine. »Er ist frisch und es reicht gerade noch für eine Tasse.«
»Danke sehr.«
»Die kannst du gebrauchen – oder?«
Ich war schon fast an Glenda vorbei, blieb jetzt stehen und nickte ihr zu.
»Ja, die kann ich wirklich gebrauchen.«
»Und ihr seht erleichtert aus.«
Ich drehte mich Suko zu. »Müssen wir das sein?«
»Wie man’s nimmt.«
Glenda staunte. »Nicht? Ihr seid bei Sir James gewesen. Es ist alles wieder im Lot, denke ich.«
Ich stand an der Maschine und füllte meinen großen Becher mit der leckeren Brühe. Als ich die ersten beiden Schlucke getrunken hatte und erst dann Zuckerwürfel hineinfallen ließ, fragte ich: »Was soll denn alles im Lot sein?«
»Die Cavallo ist weg.«
»Das stimmt. Aber mehr auch nicht.«
»Wieso? Rechnest du mit ihrer Rückkehr?«
Ich winkte ab. »Ehrlich gesagt, Glenda, können wir erst zufrieden sein, wenn wir wissen, dass sie nicht mehr existiert. Und ob Nadine Berger das schafft, kann ich dir nicht sagen. Justine Cavallo hat immer Tricks auf Lager. Du darfst nicht vergessen, wie abgebrüht sie ist. Ich hoffe ebenso wie Suko, dass wir in der nächsten Zeit Ruhe vor ihr
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