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1716 - Die Hantel des Somers

Titel: 1716 - Die Hantel des Somers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannt
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nächsten Augenblick ihre vernichtende Kraft entfalteten. Das schwarze Haar stand wie unter elektrostatischer Aufladung nach allen Seiten vom Kopf ab.
    Die bronzefarbene Haut wirkte blaß und krank, und die eingefallenen Wangen verstärkten diesen Eindruck. Eine einzelne Träne stahl sich aus dem linken Auge und zog ihre Spur hinab zum Kinn, wo sie im hochgestellten Kragen versickerte.
    Boris Siankow fror erbärmlich. Jetzt, in den wenigen Stunden der Ruhe und des Nachdenkens, überkam ihn der Katzenjammer. Erst wollte er sich dagegen wehren, dann gab er ihm nach in dem Gedanken, daß seine Psyche dieses Ventil benötigte.
    Es machte keinen Sinn, vor der Wirklichkeit zu fliehen.
    Er starrte auf das wandfüllende Holo und die Planetenkugel, die so gar nichts mehr mit der Welt gemeinsam hatte, auf der er vor Sechsundsechzig Jahren geboren worden war. Der Anblick erfüllte jeden Betrachter mit Angst und Schrecken. Der vierte Planet mit seinem Durchmesser von weniger als siebentausend Kilometern bot ein furchtbares Bild. Grau und mit immer schwächer werdenden Konturen zog der Mars seine Bahn um die Sonne. Seine Oberfläche bestand nun vollständig aus diesem fremdartigem Kristall mit negativer Strangeness. Innerhalb kürzester Zeit hatte sich die blühende Welt in eine Zone des Todes verwandelt.
    Boris Siankow seufzte. Von der stolzen Heimat aller Marsianer blieb so gut wie nichts übrig, vielleicht der Planetenkern. Aber nicht einmal das war sicher.
    Das Abbild in dem wandfüllenden Holo zog ihn magisch an. Seine Augen brannten, doch es kümmerte ihn nicht. Das einzige, was ihn interessierte, war dieses Bild, das von einer Robotstation aus sicherer Entfernung gesendet wurde.
    Die Kunstsonnen leuchteten noch. Geo Sheremdoc hatte bisher darauf verzichtet, sie ferngesteuert abschalten zu lassen. Ihr milder Schein erinnerte als einziges noch an die bis vor kurzem von Leben strotzende Welt. Die planetaren Anlagen existierten wohl nicht mehr, gefressen und assimiliert von den wachsenden Kristallstrukturen.
    Wenn sie wenigstens einen Anhaltspunkt gehabt hätten, worum es sich bei dieser kristallinen Erscheinungsform handelte. Timmersson Gender wäre vielleicht in der Lage gewesen, ihnen eine Antwort auf diese Frage zu geben. Aber Gender lebte nicht mehr, und vor seinem Opfergang hatte er sich nicht erinnert, wie sein Auftrag lautete und beschaffen war. „Die Kristalle lassen sich besiegen!" Das war die Schlußfolgerung, die sie aus Genders Erscheinen gezogen hatten. „Es gibt ein Mittel dagegen. Wir müssen es nur finden. ES könnte uns die Antwort bestimmt geben, doch der Aufenthaltsort der Superintelligenz läßt sich mit herkömmlichen Mitteln ebensowenig ausfindig machen wie die Kraft, die Timmersson Gender befähigte, die Kristalle zu Granulat zerfallen zu lassen."
    Der Gedanke an eine fremde Intelligenz lag nahe. Die Vorstellung, daß es sich bei den herabgestürzten Kristallsplittern um tote Materie handelte, entsprach lediglich dem menschlichen Empfinden und mußte nichts mit der Wirklichkeit zu tun haben. Die tödliche Strahlung um den Planeten herum verhinderte, daß sie etwas herausfanden.
    Die Todeszone besaß an diesem zwölften Februar bereits eine Ausdehnung von bis zu siebzigtausend Kilometern um den Mars herum.
    Und sie stieg beständig.
    Siankows Augen tränten. Tief in seinem Innern führte sich die Überzeugung, daß seine Heimat nie mehr zu dem werden konnte, was sie einmal gewesen war. Wenn der Mars auseinanderplatzte, dann war dies vielleicht besser, als ständig diesen Anblick ertragen zu müssen.
    Der Mars sah aus wie ein Geschwür, und die Konturen seiner Oberfläche begannen sich langsam, aber sicher zu verwischen. Erhebungen und Vertiefungen glichen sich einander an.
    Olympus Mons, das Kratergebirge auf der westlichen Hemisphäre mit seinen ursprünglich knapp dreißig Kilometern Höhe, ragte inzwischen nur noch rund dreiundzwanzig Kilometer empor.
    Die beiden Marsmonde Phobos und Deimos zogen nach wie vor ihre Bahnen in knapp sechstausend beziehungsweise zwanzigtausend Kilometern über der Oberfläche. Vor dem Hintergrund der grauen Kristallmasse wirkten sie wie zwei stumme braune Wächter, die den Untergang beobachteten, ohne eine eigene Meinung dazu zu haben.
    Seine Heimat, seine Welt!
    Plötzlich zweifelte Siankow, daß das überhaupt noch stimmte. War es nicht so, daß er längst Titan als seine Heimat betrachtete? Seit Jahren schon? Hätte ihn der Untergang Titans und des Forschungszentrums

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