1719 - Die Totenliste
einer Gigantsyntronik zu tun gehabt, die seit einigen Tagen von allen guten Geistern verlassen zu sein schien - oder von allen bösen besessen.
„Eine Totenliste", murmelte Sheremdoc. „Das könnte es sein..."
*
Vier Stunden vor diesem Gespräch hatte NATHAN sich offenbar endgültig vom Rest des Universums isoliert.
Es war der vorläufige, dramatische Höhepunkt einer Reihe von undurchschaubaren Aktivitäten gewesen, die vor rund zweieinhalb Monaten damit begonnen hatten, daß NATHAN die Unterstützung beim Projekt DORADO verweigert hatte und es sich herausstellte, daß das Mondgehirn nur rund achtzig Prozent seiner Leistung für die ihm gestellten Aufgaben einsetzte, die restlichen zwanzig Prozent jedoch für geheime, nur ihm bekannte Tätigkeiten hinter dem Rücken der Terraner.
Daraufhin angesprochen, hatte NATHAN beharrlich bestritten, anderen als seinen normalen Tätigkeiten nachzugehen. Obwohl ihm das Gegenteil bewiesen werden konnte, blieb er bei seiner Behauptung, sich weiterhin voll und ganz für die Belange der Terraner und der Galaktiker zu verwenden.
Doch es blieb dabei, daß die Mondsyntronik jede Unterstützung des Projekts DORADO verweigerte. DORA-DO war die Bezeichnung für eine mehr als gewagte Unternehmung, deren Ziel es war, eine Anlage nach uralten Plänen der Porleyter zu bauen. Die Pläne waren in der Großen Magellanschen Wolke gefunden worden, und die „Dimensionsmaschine" sollte in der Jetztzeit das bewirken, was sie vor rund zwei Millionen Jahren nicht geschafft hatte: nämlich die „Löcher" im Raum-Zeit-Gefüge zu schließen, die um den ehemals Roten Planeten Mars existierten und es erlaubt hatten, daß fremde, kristalline Objekte im Solsystem materialisiert und auf dem Mars abgestürzt waren.
Der Nachbarplanet der Erde war inzwischen von einer geschlossenen Kristallschicht überzogen. Es gab kein organisches Leben mehr, und mit jedem Tag fraß sich der Kristall tiefer in den Planeten hinein.
Und was viel schlimmer war: Er wuchs auch in den Weltraum. Dabei handelte es sich nicht um die Kristallstrukturen an sich, sondern um die alles Leben auslöschende Todesstrahlung, die von ihnen ausging.
Dieses Mars-Todesfeld strahlte inzwischen bereits über eine Entfernung von zwölf Millionen Kilometer in den Weltraum hinaus. Die Ausdehnungsgeschwindigkeit hatte sich allerdings seit Ende April offenbar auf 225.190 Kilometer pro Tag stabilisiert. Sie schien konstant geworden zu sein, nachdem sie bis dahin ständig zugenommen hatte. Die eigentliche Geschwindigkeit der Strahlung war natürlich höher, aber der Wirkungsgrad nahm ab einer gewissen Entfernung rapide ab.
Vorausgesetzt, es blieb dabei, dann bedeutete dies für die Erde, daß Terra in einem knappen Jahr in den Bereich der Strahlung kommen würde, was die Kristallisierung der Oberfläche und den Tod aller organischen Verbindungen nach sich ziehen würde, falls bis dahin keine wirksame Waffe gegen die Kristallstrahlung gefunden worden wäre. Bei weiterhin anwachsender Ausbreitungsgeschwindigkeit wäre dieser Zeitpunkt sehr viel früher gekommen. So aber entfernte sich die Erde auf ihrer Bahn um die Sonne bis Ende Mai erst einmal vom Mars. Danach würde sie sich ihm wieder nähern, und zwar immer rascher, bis sie schließlich am 9. April des nächsten Jahres mit ihm in Opposition stehen und in das Todesfeld eingetaucht sein würde.
Die neuesten Nachrichten hatten dafür gesorgt, daß die Terraner zunächst wieder etwas hoffnungsvoller in die Zukunft blicken konnten. Die erste Panik war abgeebbt. Die Stimmen setzten sich allmählich wieder durch, die sagten, daß die Menschheit bisher immer noch einen Ausweg gefunden hatte, wenn ihr Untergang - und der ihres Ursprungsplaneten - doch scheinbar schon unabwendbar bevorgestanden hatte.
Ebenso hatten sich die Terraner von den Projektionen der fremden Geistesmacht Sinta erholt, die ihre Umgebung gespenstisch und beklemmend verändert hatten. Die meisten Menschen schienen sie einfach zu verdrängen, weil sie sie nicht begriffen und sich ihr Verstand einfach zu weigern begann, alles das zu speichern, was binnen kurzer Zeit auf sie eingeströmt war.
Die Bewohner des Solsystems hatten sich mit den Spindelwesen und mit Moira auseinanderzusetzen gehabt. Sie hatten mit ansehen müssen, was mit dem Mars geschah, wo es trotz aller Evakuierungsbemühungen viele tausend Tote gegeben hatte. Und sie hatten es hinnehmen müssen.
Sie hatten nichts tun können, um das Verderben
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